Der Leuchtturm von Alexandria
Eunuch, der nach einer göttlichen Offenbarung des Erzbischofs Athanasios zum nizäischen Glauben bekehrt worden sei. Ich sei dem Pfad der wahren Religion und des Asketentums gefolgt, habe die Armen umsonst behandelt und den Heiligen der Kirche gedient. Ich hätte Erzbischof Petrus besucht und ihm bei seiner Flucht geholfen. Sie selbst war schon im Verlaufe des Tages verhaftet worden, kurz nachdem die Behörden sich angeschickt hatten, nach mir zu suchen. Und jetzt saß sie durch meine Schuld in diesem schmutzigen Kerker, ohne zu wissen, wo ihre Schwestern waren. Aber daran dachte sie nicht. Sie plapperte vor sich hin und ließ eine fromme, leidenschaftliche Rede voller Bewunderung für mich vom Stapel. Sämtliche Gefangenen priesen nun meine Kühnheit und sprachen mir und auch sich gegenseitig als Märtyrer Mut zu. Ich fühlte mich aufgrund der Schläge und auch vor Angst schrecklich elend. Falls die Behörden Amundoras Geschichte Glauben schenkten, folterten sie mich vielleicht sogar, selbst wenn sie entdeckten, daß ich eine Frau war.
Einem Gefangenen gelang es, den Lederriemen an meinen Handgelenken so weit zu lockern, bis das Blut mit einem brennenden Schmerz in meine Hände zurückfloß. Als die anderen Gefangenen zur Ruhe gekommen waren und außer dem gelegentlichen Stöhnen oder dem Klirren einer Kette Stille im Raum herrschte, saß ich erschöpft, aber hellwach in dem schmutzigen Stroh. Ich dachte daran, die Wachen zu rufen und ihnen zu erzählen, daß ich nicht Chariton war, ein nizäischer Arzt, sondern Charis, die Tochter des Theodoros von Ephesus, deren Vater sie belohnen würde, wenn sie mich nach Hause schickten.
Aber ich schämte mich, fortzulaufen. Ich war nicht jenes junge Mädchen von edler Geburt. Ich war es niemals wirklich gewesen. Der Gedanke, in das Haus meines Vaters zurückzukehren, glich dem Gedanken, lebendig verbrannt zu werden, oder vielmehr dem, wie ein Säugling in Kissen erstickt zu werden. Mein Leben war die Heilkunst. Je länger ich sie studierte, desto mehr liebte ich sie. Nichts konnte faszinierender oder aufregender sein als die verzwickten Geheimnisse des menschlichen Körpers, nichts wundervoller als die Gewißheit, ein Leben gerettet zu haben. Nein, ich wollte meine Verstellung als Eunuch so lange wie irgend möglich aufrechterhalten, bis sie mir tatsächlich die Kleider vom Leibe rissen, um mich auf die Folterbank zu spannen. Aber vielleicht kam es ja gar nicht dazu. Vielleicht konnte ich die Behörden davon überzeugen, daß ich von Petrus’ Verschwinden auch nicht mehr wußte als sie selbst.
Als das graue Licht der Morgendämmerung durch die schmalen Schlitze in der gegenüberliegenden Wand sickerte, erwachte ich. Meine Prellungen taten höllisch weh, ich hatte entsetzlichen Durst, und meine neu erworbene Sammlung von Flohstichen juckte. Jetzt, da es hell war, sah ich, daß mehrere meiner Mitgefangenen bereits befragt worden waren: Ihre Körper waren von der Peitsche gezeichnet, ihre Glieder von der Folter verrenkt. Sie erwachten, bemerkten meine entsetzten Blicke und erzählten mir stolz, die Folterer hätten etwas über den Verbleib der Kirchenführer wissen wollen und außerdem verlangt, daß sie verschiedene Verbrechen gestehen, um sie hinrichten zu können. Keiner von ihnen hatte sich dazu bereit gefunden.
Etwa eine Stunde nach Tagesanbruch vernahm man ein Klicken von Metall und zwei Wachsoldaten kamen herein. Sie stellten einige Becher mit Wasser für die Gefangenen hin, dann suchten sie sich mehrere zum Verhör heraus, lösten ihre Ketten von der Wand und schleiften sie wortlos hinaus. Die übrigen Gefangenen begannen für die Opfer zu beten. Die Wachsoldaten bedachten sie mit Flüchen und versetzten einem oder zweien Fußtritte, dann gingen sie hinaus und verriegelten die Tür.
Ich konnte nicht einmal das Wasser in dem Becher erreichen, den die Wachsoldaten in meiner Nähe abgestellt hatten. Der Lederriemen war zu kurz. Ich überlegte, ob es irgendeine Möglichkeit gab, den Folteropfern zu helfen, doch mir fiel nichts ein. Es war sinnlos, den Leidenden zu raten, ihre Wunden sauberzuhalten und sich auszuruhen: Das war in diesem feuchten und schmutzigen Gefängnis unmöglich. Deshalb saß ich einfach da und wartete darauf, daß die Soldaten mich holten und malte mir die Behandlungen aus, die ich anwenden würde, wenn ich mich frei bewegen könnte und meine Arzttasche bei mir hätte. Ich hatte Angst, über meine eigene Lage nachzudenken. Schließlich jedoch
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