Der Liebespakt
gehörte. Jetzt noch ein bisschen Recherche, ein paar Zeugen - und seine Geschichte war wasserdicht.
17
Aleksej Wolkow war ein müder Mann. Mit 51 Jahren hatte er seine dritte Ehe gerade hinter sich, war Vater von fünf Kindern von zwei Frauen, für die er zwar zahlte, aber kaum eines zu Gesicht bekam. Dreimal hatte er schon einen Hörsturz durchlebt, zurückgeblieben war ein Tinnitus. Nach zwei leichten Herzinfarkten hatte er fünf Stents in den Herzkranzgefäßen. Seine derzeitige Freundin war 28 Jahre alt, sah atemberaubend aus, und es war völlig klar, er würde nie mit ihr glücklich werden. Nur schon mit dem Mädchen am Abend ein Restaurant in der Moskauer Innenstadt zu betreten, strengte ihn an. Dabei waren die Blicke der anderen männlichen Gäste bewundernd, neidisch, anerkennend. Wer solch eine attraktive junge Frau an seiner Seite vorweisen konnte, musste reich und mächtig sein. Niemand sah, wie viel Kraft ihn solche Beziehungen inzwischen kosteten. Immer wollten die jungen Mädchen etwas erleben, sie wollten reisen, ausgehen, in Clubs gehen, währenddessen twittern. All das interessierte Aleksej Wolkow von Tag zu Tag weniger. Er wollte seine Ruhe. Das war alles. Noch nicht mal Sex interessierte ihn noch besonders.
Wahrscheinlich, dachte Aleksej Wolkow, hat sich meine junge Freundin längst von mir getrennt. Egal, er konnte sich kaum noch an ihren Namen erinnern. Irina? Katja? Darja? Das Mädchen konnte ihn seit Tagen nicht erreichen. Er hatte unten an der Rezeption freiwillig alle Elektronik abgegeben: das Handy,
den BlackBerry, den MP-3-Player. Nun hockte er hier irgendwo in Deutschland, in einem exklusiven Ayurveda-Hotel, und versuchte sich zu erinnern, was Entspannung war. Das »irgendwo« war nicht übertrieben. Tatsächlich hatte Aleksej Wolkow keine Ahnung, wo genau er gerade war. Der Lear-Jet hatte ihn nach Frankfurt am Main geflogen, so viel war klar. Im abgeriegelten Bereich für Privatflugzeuge holte ihn dann eine schwarze Maybach-Limousine ab, er ließ sich hinten in die weichen Polster sinken und kümmerte sich um nichts mehr. Eine Stunde waren sie gefahren, vielleicht zwei. Meistens hatte Aleksej Wolkow die Augen geschlossen. Öffnete er sie kurz, sah er in dunkle deutsche Tannenwälder hinein, erblickte schnell fließende Bäche und einen sich schlängelnden Fluss, sah hüglige Landschaften, Felder, dann wieder dunkle Wälder. Er hatte an die russischen Märchen seiner Kindheit denken müssen.
Das Ayurveda-Hotel war ein traditionsreiches Haus mit Stuck und edler Villen-Fachwerkstruktur. Lange Zeit hatte es als Sanatorium nur für Frauen gedient.
Heute, anders als damals, litten die Männer wie die Frauen. Und von all den sonderbaren Therapiemethoden des ausgehenden 19. Jahrhunderts war man vollkommen abgekommen - Electricität, Hypnose, electrische Lichtbäder und das Electrische Zwei-Zellen-Bad. Dafür praktizierte man jetzt Ayurveda. Das war, fand Aleksej Wolkow, kaum weniger obskur. Lange hatte der indische Arzt bei der Erstuntersuchung seinen Puls gefühlt, danach die Zunge untersucht und eine Menge Fragen gestellt. Ob ihm oft kalt sei. Wie gut er einschlafe. Ob er vergessen könne. Dann hatte er über Aleksejs Gesichtshaut gestrichen und die Augen leicht aufgezogen. »Sie sind sehr krank«, hatte der Arzt sanft, aber doch sehr entschieden gesagt. »Wir müssen Sie dringend entgiften.« Das tat er jetzt.
Aleksej Wolkows Suite war großzügig und hell, mit eigenem
Balkon. Von dort aus blickte er auf einen bewaldeten steilen Hügel, der sich wie eine dunkle Wand hinter seinem Zimmer erhob. Am zweiten Morgen hatten noch Nebelfetzen in den Baumwipfeln gehangen. Es war sehr still hier. Er genoss es, ohne Fernseher und ohne Radio zu sein. Der russische Präsident hätte stürzen können, ein Militärputsch den Kreml übernehmen, er, Aleksej, würde hier nichts davon mitbekommen. Auf dem dekorativen Couchtisch im Wohnzimmer seiner Suite stand eine leere Flasche Wasser neben einer Thermoskanne. Nicht irgendein Wasser - es war »Cloud Juice«. Aleksej hatte auf diesem Wasser bestanden, etwas anderes, hatte er gleich anfangs dem Arzt klargemacht, werde er nicht trinken. Was so besonders an dem Wasser sei, hatte ihn daraufhin der Arzt gefragt. Aleksej Wolkow hatte es ihm erklärt. Das Wasser stamme von der anderen Seite des Globus, von einer kleinen Insel nahe Tasmanien. Dort regne es ständig, und auf speziellen Plastikplanen werde das Regenwasser gesammelt. Sie trinken Regenwasser?, hatte
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