Der Liebesschwur
einzelne Nerv in ihrem Bein prickelte unter seiner Berührung. Er drückte, und sie spürte einen scharfen Schmerz. Patience zuckte zusammen, aber sie war dankbar für die Ablenkung. Danach war er sehr vorsichtig. Noch zweimal stöhnte sie vor Schmerz auf, als er ihr Gelenk untersuchte. Dann schließlich gab er sie wieder frei.
Patience öffnete die Augen und schob schnell ihren Rock wieder nach unten. Sie fühlte, wie eine heiße Röte in ihre Wangen stieg. Glücklicherweise würde er es in dem schwachen Licht nicht sehen können.
Vane stand auf und blickte auf sie hinunter. »Verrenktes Knie und ein Knöchel, der ein wenig verstaucht ist.«
Patience warf ihm einen schnellen Blick zu. »Sind Sie etwa Experte auf diesem Gebiet?«
»Das könnte man sagen.« Mit diesen Worten hob er sie hoch.
Patience klammerte sich an seine Schultern. »Wenn Sie mir Ihren Arm reichen, dann kann ich sicher auch gehen.«
»Wirklich?«, kam seine wenig ermunternde Antwort. Er blickte auf sie hinunter. In dem trüben Licht konnte sie seinen Gesichtsausdruck nicht erkennen. »Sie können von Glück sagen, dass ich es nicht ausprobiere.« Seine Stimme klang noch immer knapp und ärgerlich. Der unterschwellige Ärger wurde noch stärker, als er weitersprach. »Warum, zum Teufel, sind Sie nicht geblieben, wo ich Sie verlassen habe? Und hat Minnie Ihnen nicht das Versprechen abgenommen, das Gespenst im Dunkeln nicht zu verfolgen?«
Patience ignorierte seine erste Frage, weil sie darauf keine gute Antwort wusste. Das bedeutete aber nicht, dass die Antwort auf seine zweite Frage besonders gut war. »Ich habe mein Versprechen ganz vergessen – ich habe ganz einfach nur das Gespenst gesehen und bin aus dem Haus gelaufen. Aber was haben Sie hier draußen getan, wenn es zu gefährlich ist, das Gespenst zu verfolgen?«
» Ich habe speziell den Auftrag dazu bekommen.«
Patience fühlte, dass sie das Recht hatte, ein unwilliges Geräusch auszustoßen. »Wo ist Myst?«
»Vor uns.«
Patience versuchte, den Nebel zu durchdringen, doch sie konnte nichts erkennen. Offensichtlich konnte Vane besser sehen als sie. Seine Schritte waren sicher, als er zwischen den morschen Steinen entlangging. Sie hatte die Arme um seinen Hals geschlungen und war insgeheim froh darüber, dass sie nicht über dieses Stück der Wiese humpeln musste.
Dann tauchte die Seitentür auf. Myst wartete auf der Treppe auf sie. Patience glaubte, dass Vane sie auf die Füße stellen würde, doch stattdessen rückte Vane sie auf seinen Armen so, dass er die Tür öffnen konnte. Als er sie über die Schwelle getragen hatte, stieß er die Tür mit dem Fuß hinter sich zu. Dann lehnte er sich dagegen.
»Schieben Sie die Riegel vor.«
Sie tat, wie er ihr befohlen hatte, und griff um ihn herum. Als auch der letzte Riegel vorgeschoben war, reckte er sich wieder zu seiner vollen Größe und ging weiter.
»Sie können mich jetzt absetzen«, zischte Patience, als er sie in die Eingangshalle trug.
Bei dem Licht der Kerze in der Eingangshalle sah Patience, was sie zuvor nicht hatte sehen können – sein grimmiges Gesicht.
Zu ihrer Überraschung ging er zum Ende der Eingangshalle und stieß mit der Schulter die grüne Tür auf. »Masters!«
Masters kam aus der Speisekammer. »Ja, Sir? – O du liebe Güte!«
»In der Tat«, antwortete Vane. »Rufen Sie Mrs. Henderson und eine der Zofen. Miss Debbington ist in den Ruinen herumspaziert und hat sich den Knöchel verstaucht und das Knie verrenkt.«
Das reichte ihr. Patience musste sich mit Masters, Mrs. Henderson und Minnies alter Zofe herumschlagen, die sich ununterbrochen um sie bemühten. Vane führte die Prozession an, als sie die Treppe hinaufgingen, und stellte sie erst in ihrem Zimmer wieder auf die Füße.
Sehr vorsichtig setzte er sie auf das Bett, dann trat er mit gerunzelter Stirn einen Schritt zurück. Mit den Händen in die Hüften gestützt, sah er zu, wie Mrs. Henderson und Ada ein Senfbad für ihren Knöchel machten und dann einen Umschlag für ihr Knie.
Offensichtlich zufrieden wandte Vane sich um und sah Patience in die Augen. Sein Blick war hart. »Um Himmels willen, tun Sie, was man Ihnen sagt.« Mit diesen Worten ging er zur Tür.
Vollkommen benommen starrte Patience ihm nach. Ihr fiel keine bissige Bemerkung ein, die sie ihm noch hätte sagen können, ehe er verschwand. Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Patience schloss den Mund, ließ sich auf das Bett zurückfallen und dachte mit einem unterdrückten
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