Der Lippenstift meiner Mutter
zum dunklen süßen Tal der Onanie besessen war. Es konnte sogar sein, dass er Mädchen gar nicht mochte.
Vor dem Kino Zryw traf Bartek seinen Freund Anton, dann gingen sie gemeinsam zum praktischen Unterricht, der um acht begann. Die Nachricht, es habe von der Fleischwarenfabrik eine frische Lieferung gegeben, hatte sich in Dolina Ró ż wieder einmal wie ein Lauffeuer verbreitet, sodass sich vor dem Fleischerladen am Marktplatz eine Schlange gebildet hatte. Dort vor masarnia begegneten die beiden Schüler des Mechanischen Technikums Oma Olcia, die in der Schlange einen der vordersten Plätze erobert hatte.
»Grüß Gott, Jungs! Was für Zeiten!«, stöhnte sie. »Der Franzose will doch auch mal ein frisches paniertes Schweinekotelett essen! Er hat mich schon am frühen Morgen, da habe ich noch im Nachthemd gebetet, aufgesucht. Ich dachte schon, ich falle auf der Stelle tot um, als er in meiner Tür stand und mich anlächelte. Jeden hätte ich erwartet, selbst den Erzengel Michael, doch nicht ihn, meinen Franzosen! Jetzt ist er bei Herrn Tschossnek – oder bei Tschossneks Frau, diesem Flittchen!«, ärgerte sie sich. »Bartek, wir sehen uns später – du schläfst ab heute bei mir!«
Olcia schimpfte noch, sie würden zu spät zum Unterricht kommen, sie sollten sich gefälligst beeilen. Und so rannten sie los und rutschten im Schnee aus und lachten über ihre kunstvollen Stürze auf den eisglatten Straßen und Bürgersteigen, obwohl es wehtat und sie jeden Knochen spürten. Vor den Toren der Werkstattgebäude am Ufer der Luna fragte Anton: »Könntest du nicht von Herrn Lupicki ein Weckglas mit budapren besorgen? Und selbst wenn du ihm das Zeug klaust, wird er es nicht merken.«
»Was willst du damit?«
»Ich möchte meine Nase testen und etwas Neues ausprobieren! Zusammen mit dir selbstverständlich!«
»Du bist doch kein Junkie! Du ein ć pun ? Niemals! Trink lieber ein Bier oder einen Wodka! Wie bisher!«
Budapren , der Schuhleim, floss in der Werkstatt von Herrn Lupicki in Strömen wie das Bier im Piracka . Aber mit diesem Kleber wurden nicht nur Schuhe repariert, Herr Lupicki pries ihn als Allheilmittel an – er setzte den Leim auch beim Bauen der Stühle und Regale für seine Werkstatt ein. Und dennoch schimpfte er über den üblen Geruch, der seinen Kleidern und vor allen Dingen seinen Händen anhaftete. »Frauen wollen mich nicht anfassen«, klagte er manchmal. »Und ich will auch nicht, dass sie mich anfassen, weil ich mich für den Dreck unter meinen Fingernägeln und den Leimgestank, der mich wie ein Doppelgänger verfolgt, schäme: Budapren macht uns Schuster verrückt! Wir brauchen nicht zu saufen − wir tun es dennoch! Und ich schäme mich auch dafür, dass mir meine polnische Köchin mit diesem Devisenschieber aus Olsztyn durchgebrannt ist. Das ist meine Schande!«
Herrn Lupickis Klagen nahm Bartek nicht allzu ernst, denn das Blut seiner Werkstatt war der Schuhleim, und der alte Mann und seine Angestellten waren stolz darauf, dass sie über so einen starken Kleber verfügten, auf den man sich immer verlassen konnte. Sie lebten unter ihrem eigenen Himmel und auf ihrer eigenen Erde, die so klein war wie ein Planetoid, aber dieser zwergenhafte Himmelskörper gehörte nur ihnen.
Antons Vorschlag, einen Test mit der Droge der Schuster durchzuführen, fand Bartek zu guter Letzt doch ausgezeichnet. Allerdings fiel ihm dazu noch Folgendes ein: »Anton, wir müssen nicht budapren schnüffeln, wir atmen das Zeug seit unserer Geburt ein, wir merken bloß nicht mehr, dass wir in einer Art Dauerrausch leben! Unsere ganze Stadt ist verseucht und beschwipst!«
Sie betraten das Gelände mit den Werkstätten des Mechanischen Technikums – dieser Gebäudekomplex kam dem Schusterkind wie ein Außenposten der ehemaligen Wehrmachtskaserne, seiner Schule aus dem Stadtwald, vor. Die Deutschen aus Rosenthal hatten die Hallen, Toiletten und Büros kurz nach dem Ersten Weltkrieg gebaut, damit Bartek und Anton ein halbes Jahrhundert später lernten, von sozialistischen Ingenieuren zum Nichtfunktionieren verurteilte und dadurch nutzlose Türschlösser zu bauen.
Die Jungen zogen sich um: Die schlichten grauen Uniformen dienten ihnen als Schutz vor den Metallspänen, Öl- und Kühlmittelspritzern. Zigaretten rauchte man bei schlechtem Wetter auf der Toilette, deren Hockklos selten benutzbar waren, da sie andauernd absichtlich verstopft wurden. In der Mittagspause bekam jeder Schüler ein Brötchen und einen Becher
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