Der Lügner
Karteikarten und schrieb sich verheißungsvolle Titel auf. Graugesichtige Doktoranden und verzweifelte Examenskandidaten mit Büchern unter den Armen und ureigenen Welten der Gelehrsamkeit in den Augen eilten überall hin und her. Er erblickte Germaine Greer, die einen Stapel uralter Bücher umklammerte, und Stephen Hawking, den Mathematikprofessor am Lucas, der seinen motorisierten Rollstuhl in den nächsten Raum steuerte.
Gehöre ich hier wirklich dazu? fragte sich Adrian. All diese Arbeit? Dieser Schweiß? Kein Abkürzen, kein Schummeln, kein Abschreiben, kein Schwindeln? Abersicher doch. Ein Physiker arbeitet auch nicht schwerer als ich. Bloß schreibt er Gottes Ideen ab.
Und
versteht sie meistens falsch.
Gary sah Trefusis sein Zimmer verlassen, die Aktentasche unterm Arm und eine Rauchwolke hinter sich herziehend. Er wartete noch fünf Minuten, nachdem er die Sonnet Bridge überquert hatte, bevor er die Treppe zum ersten Stock emporstieg.
Das Druckschloß der äußeren Eichentür ergab sich Adrians Barclaycard, wie Adrian es vorgesehen hatte. Gary schaltete das Licht an und überschaute das Bücher-Manhattan vor sich.
Irgendwo hier muß es sein, sagte er sich. Ich nehme an, ich brauche bloß zu warten, bis es sich offenbart.
Adrian stellte sich an den Ausgabeschalter des Lesesaals und wartete darauf, daß man auf ihn aufmerksam wurde. Es war richtig verführerisch, auf die Platte zu klopfen und »Bedienung!« zu rufen. Er schaffte es, statt dessen höflich zu hüsteln. »Sir?« Bibliothekare schienen Adrian stets mit der größtmöglichen Lethargie und Verachtung zu behandeln, die möglich war, ohne direkt unhöflich zu werden. Es war vorgekommen, daß er jemanden vom UB-Personal nach einem Buch in, sagen wir, einem seltenen Indianerdialekt von Winnebago gefragt hatte, und der Betreffende hatte es ihm mit gerümpfter Nase und einem Anflug überlegener Geringschätzung gereicht, als hätte er es schon vor Jahren gelesen und die Phase längst hinter sich gelassen, wo so offensichtlicher und kindischer Nonsens
ihn
auch nur im geringsten hätte interessieren können. Hatten sie ihn irgendwie durchschaut, oder zeigten sie Studentengrundsätzlich ihre Verachtung? Das Exemplar, das ihm jetzt gegenübergetreten war, sah noch abweisender und reservierter aus als sonst. Adrian bedachte ihn mit einem freundlichen Lächeln.
»Ich hätte gern«, sagte er mit klingender Stimme, »
Ein pralles Paar Doppelpoller
und
Fleischige, griffige Hintern
bitte, und
Esthers Spaß mit Eseln
, wenn es nicht gerade ausgeliehen ist … ach ja, und
Rollstuhlfellatio
, glaube ich …«
Der Bibliothekar schob seine Brille hoch.
»Was?«
»Und
Backfisch und Steppke im Zeltlager, Fido schlappt es auf, Trink meine Pisse, Schlampe
und
Ein Krokodil aus Chorknaben
. Ich glaube, das ist alles. Ach,
Das Tagebuch einer Sodomiterin
noch. Das stammt aus dem Spätviktorianismus. Hier haben Sie das Bevollmächtigungsschreiben.«
Adrian wedelte mit einem Stück Papier.
Der Bibliothekar schluckte beim Lesen.
Ts-ts-ts, dachte Adrian. Zeigt Anteilnahme und Verwirrung. Verletzung von Regel eins der Bibliothekarsgilde. Er wird mit Schimpf und Schande ausgestoßen werden, wenn er nicht aufpaßt.
»Wessen Unterschrift ist das bitte?«
»Oh, Donald Trefusis’«, sagte Adrian. »Er ist mein Senior Tutor.«
»Einen Augenblick Der Bibliothekar wandte sich ab und zeigte den Zettel einem älteren Mann im Hintergrund.
Es war, als versuchte man, einen großen Scheck einzulösen, dieselben geflüsterten Beratungen und verstohlenen Blicke. Adrian drehte sich um und musterte gemächlichden Saal. Dutzende von Gesichtern vergruben sich schlagartig wieder in ihre Arbeit. Dutzende andere starrten ihn an. Er lächelte wohlwollend.
»Entschuldigen Sie, Mr. … Mr. Healey, nicht wahr?«
Der ältere Bibliothekar hatte sich dem Schalter genähert.
»Ja?«
»Darf ich fragen, zu welchem Zweck Sie sich diese … äh, Publikationen anzuschauen wünschen?«
»Forschung. Ich arbeite an einer Dissertation über ›Manifestationen erotischer Abweichungen in …‹«
»Schon gut. Dies
scheint
Professor Trefusis’ Unterschrift zu sein. Ich glaube, es ist dennoch besser, wenn ich ihn anrufe, falls Ihnen das nichts ausmacht. Nur um sicherzugehen.«
Adrian tat das mit einer lässigen Handbewegung ab.
»Oh, ich glaube kaum, daß er damit belästigt werden möchte, meinen Sie nicht?«
»Derlei Bevollmächtigungen sind für Studenten nicht üblich, Mr.
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