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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Taschentuch im Mund. Ich bin einfach zwei Oktaven raufgegangen und hab mich genervt angehört.«
    Adrian begutachtete Garys Aktivitäten.
    »So. Zweite Frage. Was hast du mit meinem Zimmer angestellt?«
    »Unserem Zimmer.«
    »Unserem Zimmer, das ich möbliert und bezahlt habe?«
    »Das ist ein Karton.«
    »Ein Karton.«
    »In der ursprünglichen Bedeutung.«
    »Die ursprüngliche Bedeutung von ›Karton‹ ist also ›total beschissenes Durcheinander‹, ja?«
    »Die ursprüngliche Bedeutung von ›Karton‹ ist ein Materialbogen, auf dem die Umrisse eines Freskos aufgetragen werden.«
    Adrian suchte sich einen Weg durch das Gerümpel und goß sich aus einer halbvollen Flasche auf dem Kaminsims ein Glas Wein ein. Eine halbe Flasche des besten weißen Burgunders im ganzen College, wie ihm auffiel.
    »Fresko?«
    »Ja. Wenn es fertig skizziert ist, hängt man den Bogen einfach an die Wand, drückt die Umrisse in den feuchten Putz und fängt so schnell wie möglich an zu arbeiten, bevor …«
    »An was für einen feuchten Putz denkst du?«
    Gary zeigte auf eine leere Fläche an der Wand.
    »Ich dachte dort. Wir reißen einfach den alten Putz ab und tun ein bißchen Mauerverband aufs Lattenwerk. Das ist doch ein Klacks.«
    »Das ist kein Klacks. Wenn dieser Klacks beinhaltet, auf fünfhundert Jahre altem Putz herumzuklecksen …«
    »Sechshundert, um genau zu sein. Es wird eine Darstellung Großbritanniens in den späten Siebzigern. Thatcher, Foot, Demonstrationen der
Campaign for Nuclear Disarmament
, Arbeitslosigkeit. Alles. Ich male es, dann verschlagen wir es mit Holztäfelung. Das ist der teure Teil. Die Täfelung muß mit Scharnieren versehen werden, verstehst du? In hundert Jahren wird dieses Zimmer unbezahlbar sein.«
    »Es ist schon jetzt unbezahlbar. Können wir es nicht dabei belassen? Henry James hat hier Tee getrunken. Isherwood hat in diesem Schlafzimmer mit einem gelehrten Chorsänger geschlafen. Ein Freund von Thomas Hardy hat sich hier umgebracht. Marlowe und Kydd haben genau auf diesen Dielen eine Gaillarde getanzt.«
    »Und Adrian Healey hat hier Gary Collins’ erstes Fresko bestellt. Die Geschichte ist ein fortschreitender Prozeß.«
    »Und was wird unsere Aufwartefrau sagen?«
    »Es wird ihr den Tag verschönern. Besser, als die muffigen Unterhosen der Wirtschaftswissenschaftler von gegenüber aufzusammeln.«
    »Fuck you, Gary. Warum hör ich mich bei dir immer so pedantisch und spießig an?«
    »Quatsch.«
    Adrian sah sich im Zimmer um und versuchte, seine bürgerliche Panik zu bekämpfen.
    »Also Täfelung mit Scharnieren, meinst du?«
    »Dürfte nicht allzuviel kosten, falls du dir deswegen Sorgen machst. Ich habe einen Maurer kennengelernt, der auf der Baustelle von Robinson College arbeitet. Der schätzt, er kann mir echt gutes Zeug für unter fünfhundert besorgen, und er würde den Rohbewurf und Verputz erledigen, falls ich mich von ihm vögeln lasse.«
    »Nicht gerade im Sinne der Tradition, oder? Ich meine, ich kann mir kaum vorstellen, daß Papst Julius und Michelangelo zu einem vergleichbaren Arrangement kamen, als es um die Sixtinische Kapelle ging. Ich müßte mich denn sehr irren.«
    »Würd ich nicht drauf wetten. Egal, irgendwer muß mich doch vögeln, oder etwa nicht?« betonte Gary. »Undda du es nicht tust, muß ich mich woanders umsehen. Ist doch klar.«
    »Plötzlich wird mir die Logik des Ganzen klar. Aber was ist mit der Arbeit? Ich muß in diesem Semester doch arbeiten, hast du das vergessen?«
    Gary stand auf und streckte sich.
    »Scheiß drauf, würd ich sagen. Wie waren die Pornos?«
    »Unglaublich. So was hast du im ganzen Leben noch nicht gesehen.«
    »Schmutzige Bilder?«
    »Ich bin mir nicht sicher, ob ich einem Labrador jemals wieder ins Gesicht sehen kann. Aber mag mein Glaube an die Menschheit auch ruiniert sein, so muß ich doch sagen, daß wir im zwanzigsten Jahrhundert im Vergleich mit den Viktorianern ein verdammt langweiliger Haufen sind.«
    »Viktorianische Pornos?«
    »Klar.«
    »Was haben die denn
gemacht
? Hab ich mich schon oft gefragt. Hatten die eigentlich Schwänze und Mösen und das alles?«
    »Natürlich hatten sie das, du dummes Kind. Und die gepfefferteren Bände deuten an, daß sie eine ganze Menge mehr hatten. Es gibt da –«
    Adrian unterbrach sich. Plötzlich war ihm ein Gedanke gekommen. Er betrachtete Garys Karton. Warum nicht? Es war wild, es war unehrlich, es war schimpflich, aber es war machbar. Es würde Arbeit bedeuten. Verteufelt viel

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