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Der Lügner

Der Lügner

Titel: Der Lügner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen Fry
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Gesicht drehte sich um und musterte Adrian.
    »Healey? Ja wirklich, Healey. Sehr erfreut.«
    »Sehr erfreut, Herr Professor.«
    »Healey, genau. Ganz genau. Ihr Aufnahme-Essay war sehr vielversprechend. Wissenssatt und witzesschwanger.«
    »Danke.«
    »Und Sie sind Kricketspieler?«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich habe aber versucht, sie ein wenig zu trainieren.«
    »Na, dann viel Glück, mein Guter. Mein Neffe Philip hat eine junge Lehrkraft wie Sie – er geht ans Trinity –, von dem man sagt, er habe mit dem Narborough-Team viel erreicht. Der richtige junge Thaumaturg, habe ich gehört.«
    »Oje. Ich fürchte, das bedeutet, man wird uns zu Brei verarbeiten. Ich hatte gehofft, Narborough wäre der Selbstüberschätzung verfallen.«
    »Da kommt er übrigens, Sie werden zusammen schiedsrichten. Darf ich Sie bekannt machen?«
    Adrian drehte sich um und sah einen jungen Mann im Kricketsweater auf sich zukommen.
    Eines Tages hatte es passieren müssen. Es hatte so kommen müssen. Adrian hatte sich immer vorgestellt, es würde auf der Straße oder im Zug sein. Aber hier? Und heute? An diesem Ort?
    »Ich kenne Hugo Cartwright bereits«, sagte er. »Wir sind zusammen zur Schule gegangen.«
    »Hallo, Adrian«, sagte Hugo. »Bereit, in den Staub getreten zu werden?«
    Sie zogen ihre weißen Kittel über und gingen zum Spielfeld hinunter.
    »Welches Wicket hast du denn für uns ausgesucht?« fragte Adrian.
    »Nicht schlecht, ein bißchen abschüssig am Pavillonende.«
    »Irgendwelche Werfer, die sich das zunutze machen können?«
    »Wir haben einen kleinen Anschneider, auf den ich einige Hoffnungen setze.«
    Adrian zuckte zusammen: Er hatte seine Mannschaft nicht ordentlich gegen angeschnittene Bälle geimpft. So einer konnte durch die Schlägeraufstellung der Mannschaft einer Prep School laufen wie Cholera durch einen Slum.
    »Beherrscht er Googlies?«
    »Hoho!« sagte Hugo.
    »Bastard.«
    Er sah anders aus und war sich doch gleichgeblieben. Adrians Augen sahen den echten Cartwright nicht allzuweit unter der Oberfläche. Hinter den stärker gewordenen Zügen sah er die weicheren Linien des Knaben, im stetigeren Schritt las er die ehemalige Anmut. Seine Erinnerung kratzte vier Jahre Firnis ab und stellte das glänzende Original wieder her. Aber sonst wäre niemand dazu imstande gewesen.
    Wenn Clare bei ihm gewesen wäre und er sie gefragt hätte: »Was hältst du von dem Mann da drüben?«, hätte sie wahrscheinlich die Nase gerümpft und geantwortet: »Wohl ganz in Ordnung. Aber ich finde ja, blonde Männer sehen finster aus.«
    Jeder hat seine Blütezeit, dachte Adrian. Du kannst Leute mit dreißig treffen und voraussehen, daß sie ihr bestes Äußeres erreichen werden, wenn sie erst einmal graues Haar und Falten im Gesicht haben. Dieser Professor zum Beispiel, Donald Trefusis. Der muß als Jugendlicher lächerlich ausgesehen haben, aber jetzt kommt er richtig zur Geltung. Andere, deren bestes Alter fünfundzwanzig war, werden auf groteske Weise alt, ihre Kahlheit und dicker werdende Taille verraten, was sie einmal waren. Im Lehrkörper von Chartham befanden sich solche Männer, fünfzig oder sechzig Jahre alt, deren wahre Eigenschaften erst dann in Spuren einstiger Leidenschaft und Vitalität erkennbar wurden, wenn sie erregt waren. Der Direktor andererseits war ein aufgeblasener Einundvierziger, der darauf wartete, zu einem köstlichen Fünfundsechziger auszureifen. Von seinem eigenen Idealalter hatte Adrian keine Ahnung. Manchmal hatte er das Gefühl, sich an der Schule zurückgelassen zu haben, dann wieder glaubte er, am besten würde er als molliger Zufriedener mittleren Alters herauskommen. Aber Hugo … Hugo, das wußte er, würde unaufhaltsam forttreiben von der Vollkommenheit seiner Vierzehnjährigkeit: Die Anzeichen seiner vormaligen Schönheit würden mit jedem Jahre, das verstrich, schwerer zu finden sein, das goldglänzende Haar würde mit dreißig blaß und stumpf wirken, das flüssige Blau seiner Augen mit fünfunddreißig gerinnen und sich verhärten.
    Und nur zu früh gehn Sommers Pforten zu, Hugo, alter Junge, dachte Adrian, du aber sollst in ew’gem Sommer blühn. In meiner Fantasie bist du unsterblich. Der Mann, der neben mir schlendert, ist bloß das Bildnis des Hugo Cartwright, das altert und Falten bekommt: Den wahren Hugo trage ich im Kopf, und leben wird er, solange ich lebe.
    »Ich denke, wir werden als erste schlagen, Sir«, kündigte der Captain von Narborough an, nachdem er das Seitenlos

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