Der Lustmolch
Michon zu sprechen kam, fiel Val ihm ins Wort.
»Sie dürfen nicht glauben, was Molly Ihnen erzählt. Sie ist eine sehr verwirrte Frau.«
»Sie hat mir überhaupt nichts erzählt«, konterte Theo. »Ich glaube einfach, daß sie irgendwas über die ganze Angelegenheit weiß.«
Val wollte schon Theos Drogenkarriere aufs Tapet bringen, um den Gedankengang abzuwürgen, doch dann fiel ihr wieder ein, was Estelle Boyet ihr während der Therapiesitzung erzählt hatte. »Ich werde nicht sagen, wer es war, aber einer meiner Patienten hat in einer Therapiesitzung ein Seeungeheuer erwähnt.«
Gabe fragte: »Wer?«
»Das kann ich nicht sagen«, erklärte Val.
»Estelle Boyet«, sagte Jenny, die an den Tisch kam, um die Bestellung für das Dessert aufzunehmen.
»Verdammt«, sagte Val. »Von mir haben Sie es jedenfalls nicht«, sagte sie zu Theo.
»Sie hat beim Frühstück mit diesem Catfish darüber geredet«, erklärte Jenny.
»Kein Nachtisch«, blaffte Val in Richtung Jenny.
»Ich bringe die Rechnung.«
»Also hat Estelle das Ding gesehen?« fragte Theo.
»Nein, sie sagt, sie hat es gehört. Sie ist nicht der Typ, der einen Schwindel aufzieht, was ich im Falle Molly Michon nicht ganz ausschließen kann. Vielleicht ist sie ja der Ausgangspunkt des ganzen Gerüchts. Ich kann Estelle mal fragen.«
»Machen Sie das«, sagte Theo. »Aber es ist kein Schwindel. Mein Wagen ist total zertrümmert. Das ist ein Beweis. Ich werde heute abend zu Molly rausfahren und auf sie warten. Die Tür war nicht abgeschlossen, als ich eben da war, und nach Hause kann ich sowieso nicht.«
»Glauben Sie, es ist wirklich so gefährlich?« fragte Val.
»Ich weiß es.« Theo erhob sich und zog ein paar Geldscheine aus seiner Tasche. Gabe winkte ab. Theo sagte: »Doktor, können Sie Gabe nach Hause fahren?«
»Sicher, aber ...«
»Danke«, sagte Theo. »Ich rufe dich an, Gabe. Danke, daß ich Ihnen Gesellschaft leisten durfte, Doktor. Ich dachte, es würde Sie interessieren, was mit Bess passiert ist. Ich befürchte allerdings, daß ich Ihre Verabredung vermasselt habe.«
Kann man wohl sagen, dachte Val, als sie Theo hinterherschaute, wie er das Restaurant verließ. Nach der ganzen Anspannung fühlte sie sich ausgelaugt und benebelt wie nach einem Eimer Espresso.
»Er hat gerade mit dem Grasrauchen aufgehört«, sagte Gabe. »Da geht ihm der Streß plötzlich nahe.«
»Nicht zu Unrecht. Aber was dieses Seemonster angeht, Sie glauben den ganzen Kram doch nicht etwa auch?«
»Ich habe da ein paar Theorien.«
»Würden Sie mit zu mir nach Hause kommen und mir die bei einer Flasche Wein erklären?«
»Wirklich? Ich meine, sicher. Das wäre nett.«
»Prima«, sagte Val. »Ich denke, ich muß mich mal richtig vollaufen lassen, und es wäre schön, wenn Sie mir Gesellschaft leisten.« Hatte sie seit ihren Collegetagen den Begriff »vollaufen lassen« jemals wieder benutzt? Sie glaubte nicht.
»Ich übernehme die Rechnung«, sagte Gabe.
»Aber sicher.«
»Ich hoffe, es macht Ihnen nichts aus, wenn ein Hund in Ihrem Wagen mitfährt«, sagte Gabe.
Ich bin nicht nur auf Spritztour in den Slums, dachte sie, ich bin dorthin umgezogen.
-22-
THEO
Die Wände von Mollys Trailer waren vollgeklebt mit Filmplakaten. Theo stand in der Mitte des Wohnzimmers zwischen verstreut herumliegenden Videokassetten, Zeitschriften und Werbesendungen und drehte sich langsam im Kreis. Es war sie, Molly. Sie hatte die ganze Zeit über nicht gelogen. Die Titel auf den meisten Plakaten waren in irgendwelchen Fremdsprachen abgefaßt, doch überall war eine Molly in jüngeren Jahren zu sehen, wie sie mehr oder weniger leicht bekleidet mit wehender Mähne irgendwelche Waffen in die Höhe hielt oder gegen Fieslinge kämpfte - vor dem Hintergrund einer von Atombomben zerstörten Stadt oder einer Wüste, in der menschliche Schädel und ausgebrannte Autos herumlagen.
Der pubertierende Junge in Theo, jener Wesenszug, den jeder Mann zu begraben sucht, den er dann aber doch bis ins Grab mit sich herumschleppt, bäumte sich auf. Sie war ein Filmstar. Und was für einer! Eine richtig heiße Braut! Und er kannte sie, hatte ihr sogar schon mal Handschellen angelegt. Wenn es doch nur einen Umkleideraum gegeben hätte, eine Straßenecke oder einen Pausenraum, wo er damit vor seinen Freunden hätte angeben können. Aber er hatte ja keine richtigen Freunde, außer Gabe, und Gabe war erwachsen. Doch der Moment der Geilheit und Erregung ging vorüber, und Theo hatte ein schlechtes
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