Der männliche Makel: Roman (German Edition)
mir in den Park und ins Kino geht wie die anderen Dads im Kindergarten. Können wir ihn nicht einfach suchen und Hallo sagen?«
»Lily … ich glaube nicht, dass das möglich ist …«
Inzwischen zittert ihre Unterlippe gefährlich, ein rotes Warnlämpchen, das darauf hinweist, dass Tränen nicht mehr fern sind.
»Mama, bitte! Liegt es daran, dass ich im Kindergarten böse war?«
»Nein, natürlich nicht …«
»Ich will ihn doch nur kennenlernen. Ich bin dann auch ganz brav, Ehrenwort!«
Ich seufze tief auf. Einerseits soll man Kindern nie Versprechen machen, die man nicht halten kann. Andererseits wird sie schon morgen alles wieder vergessen haben. Aber am wichtigsten ist, dass ich nie wieder diesen enttäuschten Blick in den Augen meiner Tochter sehen will.
»Gut, Schatz, ich versuche mein Bestes.«
Mein Lohn ist ein breites Lächeln. Und dann schiebt sie die ganze Angelegenheit einfach beiseite, wie nur kleine Kinder es können, steckt den Daumen in den Mund und kuschelt sich hin, um ihr Mittagsschläfchen zu halten. Ihre Sorgen sind verschwunden, als hätte es sie nie gegeben. Ich nehme eine Kaschmirdecke von der Sofalehne, wickle sie hinein, stecke sie um ihre pummeligen Beinchen fest und lasse sie schlafen.
Als ich gerade vorsichtig von der Couch aufstehen will, um sie nicht zu wecken, höre ich auf der Hintertreppe das Klappern von Schritten.
Ha, die kann sich auf etwas gefasst machen.
Ich erhebe mich, verschränke die Arme und warte in aller Seelenruhe ab. Jetzt kommt es vor allem auf das Überraschungsmoment an.
Und schon einen Augenblick später trottet Elka herein. Sie trägt meinen seidenen Morgenmantel und hat eine algengrüne Paste im Gesicht, die der Creme auf meinem Frisiertisch verdächtig ähnelt.
Als sie sieht, dass ich gelassen neben meiner schlafenden Tochter stehe und ihr auflauere wie eine Gottesanbeterin, macht sie vor Schreck einen Satz.
»Eloise!«, ruft sie in ihrem abgehackten, übertrieben artikulierten Englisch. »Was machst du denn zu Hause? Ich mit dir gerechnet viel später …«
»Sicher erinnerst du dich noch, dass du heute Morgen gekündigt hast«, entgegne ich kühl und gemessen und fixiere sie mit einem vielsagenden Blick. Dem, den ich mir normalerweise für besondere Gelegenheiten in der Redaktion aufspare, wenn ich jemanden wirklich zu Tode ängstigen will. Er wirkt fast immer und hat schon erwachsenen Männern die Tränen in die Augen getrieben.
»Äh … ja … natürlich …«
»Nun, da habe ich eine wundervolle Nachricht für dich, Elka. Du kannst früher gehen als geplant. Oh … lass mich überlegen … was hältst du von sofort? Vergiss nicht, deine dreckige Wäsche aus dem Flur und deine angebissene Pizza mitzunehmen. Ach, und da wäre noch etwas. Ich würde dir dringend davon abraten, mich um ein Empfehlungsschreiben zu bitten. Das wäre wirklich keine gute Idee, darauf kannst du dich verlassen.«
Schließlich entpuppt sich ausgerechnet meine Schwester Helen als rettender Engel. In meiner Verzweiflung schieße ich nicht nur eine Leuchtkugel ab, sondern funke SOS in die finstere Einöde von Cork. Ich kann gar nicht sagen, wie erstaunt und unendlich dankbar ich bin, als sie antwortet, ich solle mir keine Sorgen machen, denn sie werde den nächsten Zug nach Dublin nehmen.
Meine unermessliche Erleichterung mischt sich mit einem schlechten Gewissen, wenn ich bedenke, wie wenig ich sie in den letzten Jahren beachtet habe. Und dennoch lässt sie alles stehen und liegen, um mir zu Hilfe zu eilen.
Viele Stunden später – ich bin noch immer zu Hause – beantworte ich die aufgestauten Anrufe und Mails aus der Redaktion und verabschiede gleichzeitig Madam Elka, während mich weiterhin Schuldgefühle plagen.
Hätte ich für Helen das Gleiche getan?
Die Antwort liegt auf der Hand. Das wäre überhaupt nicht in die Tüte gekommen.
Rabenmutter, treulose Schwester … die Selbstreflexion ist ein Luxus, zu dem mir normalerweise die Freizeit fehlt. Doch aus unerklärlichen Gründen gibt es heute keinen Weg daran vorbei.
Und dann ist da noch die kleine Lily, die friedlich auf dem Sofa schläft und sich dabei an ihre geliebte Schmusedecke klammert, völlig erschöpft nach den dramatischen Ereignissen dieses Tages.
Die andere Sache wird sie sicher vergessen, denke ich selbstzufrieden. Der angenehme Anblick, wie Elka endlich verschwindet und ihren Hintern in ein Taxi hievt, stimmt mich fröhlich. Bald wird Lily ausgeruht und glücklich aus ihrem Nickerchen
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