Der männliche Makel: Roman (German Edition)
Editrix«, begrüßt er mich lächelnd.
So nennt er mich übrigens immer. Ich bin für ihn schlicht ein Neutrum, also weder männlich noch weiblich, weshalb Editrix das Spektrum recht gut abdeckt. Außerdem erspart er sich so die Mühe, mit einer Frau flirten zu müssen, die er ganz offensichtlich unattraktiv findet.
»Alles in Ordnung?«, erkundigt er sich ein wenig besorgt, als er mich sieht.
»Hm? Oh ja, bestens … nur … Sie kennen es ja … viel zu tun wie immer.« Ich lächle übertrieben fröhlich, während ich versuche, ruhig und gelassen zu klingen. Dabei klopfe ich panisch an meinem Rock herum und versuche, mein zerzaustes Haar zu bändigen.
»Gut«, meint er nur und beäugt mich weiter zweifelnd. »Gut.«
Okay, das erste »Gut« hat mich beruhigt, das zweite nicht.
Bis zum Abend sind die Gerüchte nach dem Stille-Post-Prinzip wieder bei mir angekommen.
Hier das Neueste: Entweder hat Eloise Elliot einen Nervenzusammenbruch oder sie ist verliebt. Offenbar hat sie heute Nachmittag blaugemacht. Der Himmel weiß, wo sie war. Als sie zurückkam, war sie sturzbetrunken und voller Gras. Außerdem hat sie gezittert wie Espenlaub. Das ist die reine Wahrheit, schließlich ist Sir Gavin Hume ihr persönlich über den Weg gelaufen. Außerdem gibt es keine andere Erklärung für ihr Verhalten in letzter Zeit. Hast du gehört, was sie zu Rachel gesagt hat, bevor sie sie nach Hause schickte? Deine Familie ist wichtiger als irgendein dämlicher Job! Ich weiß, wie absurd das klingt, aber es stimmt wirklich.
Außerdem hat sie zu Robbie gemeint, wir seien hier schließlich nicht in einer asiatischen Ausbeuterfabrik. Und dann hat sie ihm den restlichen Nachmittag freigegeben, nur damit er zu irgendeiner Firmung gehen konnte … ja … vor ein paar Monaten wäre sie ihm ins Gesicht gesprungen, wenn er sie darum gebeten hätte … Denk an meine Worte. Bei ihr tut sich etwas. Entweder schluckt sie eine hohe Dosis Valium und benimmt sich deshalb so komisch oder es liegt an diesem neuen Typen, mit dem sie angeblich zusammen ist …
Kapitel zehn
Um fünf Uhr morgens bin ich hellwach und startklar. Mein Verstand arbeitet auf Hochtouren. Offen gestanden habe ich die ganze Nacht kaum ein Auge zugetan. Mich beschäftigt nur ein Gedanke, der die ganze Zeit wie auf Endlosschleife in meinem Kopf abgespult wird. Ich werde es tun. Noch ehe dieser Tag zu Ende geht. Ganz gleich, was auch geschieht. Helens weiser Ratschlag ist die einzige Lösung. Sie hat absolut recht, und das weiß ich auch. In jeder Stunde, die ich mit Jake verbringe, während jedes Telefonats und während jedes unserer ausufernden Gespräche führe ich den Mann an der Nase herum. Wenn ich die Freundschaft mit ihm auf diese Weise weiterführe, täusche ich ihn. So einfach ist das. Und Freunde tun so etwas nicht.
Nicht, dass ich besonders viel Erfahrung in Sachen Freundschaft hätte. Aber zum Teufel damit. Wie ich Helen erklärt habe, bin ich noch dabei zu lernen.
Seit der peinlichen Begegnung gestern im Park schaffe ich es sowieso nicht mehr, ihm die Wahrheit auch nur einen Tag länger zu verheimlichen. Ja, ich weiß, dass es nicht angenehm werden wird. Es wäre Jakes gutes Recht, sauer auf mich zu werden. Doch ich werde es ihm beichten. Sollte er beschließen, Lily kennenlernen und in ihrem Leben eine Rolle spielen zu wollen – phantastisch! Wenn nicht, hoffe ich wenigstens darauf, dass wir als Freunde auseinandergehen.
Das hoffe ich wirklich.
Ach herrje, die Feststellung, dass ich gestern beinahe einen Herzinfarkt gekriegt hätte, ist noch untertrieben. Ich erschaudere noch immer bei dem Gedanken, was alles hätte passieren können. Lily hätte nur auf mich zulaufen, ein Stück Schokolade fordern und mich Mama nennen müssen, wie sie es immer tut. Dann wäre die Katze aus dem Sack und das Spiel aus gewesen. Und mich lässt der Gedanke nicht los, dass es gegenüber dem armen Jake so schrecklich unfair gewesen wäre, es auf diese Weise zu erfahren.
Doch, Wunder über Wunder, hatten die Engel Mitleid mit mir und haben mich entkommen lassen – auch wenn ich den restlichen Tag wie ein Schatten meiner selbst durch die Redaktion geschlichen bin. Also ist es sicherlich das Beste, wenn ich es hinter mich bringe. Ich kann nur beten, dass er nicht türenknallend davonläuft, sobald ihm klar wird, wie ich ihn hinters Licht geführt habe. Denn, wie ich mir widerstrebend eingestehen muss, es wäre ihm nicht zu verdenken.
Wenn ich, was selten vorkommt, in mich
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