Der Maler und die Lady (German Edition)
dafür Zeit nehmen müssen, aber zunächst wollte er sich auf den Hauptteil des Hauses konzentrieren. Das eigentliche Ziel waren natürlich Fairchilds private Räume, aber da wusste Anatole noch nicht mit Bestimmtheit, wie er vorgehen sollte.
Lara hatte ihm an diesem Morgen zwei Stunden Modell gesessen und war dann zu ihrer eigenen Arbeit zurückgekehrt. Anatole schlenderte durch die Räume im ersten Stock. Seine Anwesenheit dort verwunderte niemanden, denn er war ein Gast des Hauses, und man vertraute ihm. Dass man es tat, bereitete ihm Unbehagen. Einer der Gründe, weswegen McIntyre gerade ihn für den Job ausgewählt hatte, war, dass es Anatole keine Mühe bereiten würde, an die Fairchilds heranzukommen und freien Zugang zum Hause zu haben. Sowohl in gesellschaftlicher wie in beruflicher Hinsicht war er einer der ihren. Gegen einen wohlerzogenen, erfolgreichen Künstler, den sie als Gast ins Haus geladen hatte, würden sie keinen Verdacht hegen. Je mehr Anatole versuchte, seine Handlungsweise zu rechtfertigen, desto deutlicher plagte ihn sein Gewissen.
Für heute reichte es ihm. Bedrückt schaute er in den sich verdunkelnden Abendhimmel. Es war Zeit, sich für Melanie Burgess’ Party umzuziehen. Dort würde er Stuart Hiller und Harriet Merrick treffen. Zu beiden besaß er keinerlei Gefühlsbindungen, sodass er sich ihnen gegenüber nicht wie ein Spion und Dieb vorkommen musste. Leise fluchend ging er die Treppe hoch.
„Entschuldigen Sie, Mr. Haines.“ Ungeduldig drehte Anatole sich um und sah die Haushälterin Tulip an der untersten Stufe. „Sind Sie auf dem Weg nach oben?“
„Ja.“ Da er ihr den Weg versperrte, trat er einen Schritt beiseite, um sie vorbeizulassen.
„Nehmen Sie ihr das bitte mit und achten darauf, dass sie es auch trinkt?“ Tulip drückte ihm ein großes Glas mit einer weißlichen Flüssigkeit in die Hand. „Alles“, fügte sie kurz angebunden hinzu, ehe sie energisch in die Küche zurückkehrte.
Wo trieben die Fairchilds bloß ihre Bediensteten auf, fragte Anatole sich und betrachtete stirnrunzelnd das Glas. Und warum um alles in der Welt ließ er sich auch noch von einem Dienstboten herumkommandieren? Kopfschüttelnd setzte er seinen Weg nach oben fort.
Der Hinweis auf „sie“ war offensichtlich auf Lara gemünzt. Zweifelnd schnüffelte Anatole an der Flüssigkeit, ehe er an Laras Tür klopfte.
„Du kannst es ruhig hereinbringen“, hörte er sie rufen. „Aber ich werde es bestimmt nicht trinken, und wenn du mir noch so viel drohst.“
Anatole öffnete die Tür. Das Schlafzimmer war leer, aber er konnte riechen, wo Lara sich befand.
„Und wenn du mir noch so schlimme Schauergeschichten über Darmerkrankungen und Vitaminmangel erzählst, mir machst du damit keine Angst. Ich bin kerngesund.“
Feuchtwarme Luft schlug ihm entgegen. Mit dem Glas in der Hand durchquerte Anatole das Badezimmer und bewegte sich in die Richtung, wo der Dampf wie ein nebeliger Gazestreifen aufstieg. Die Haare hochgesteckt, lag Lara in der Badewanne. Von den grünen Hängepflanzen über ihr fielen Tropfen herunter. Weißer Seifenschaum bedeckte die Wasseroberfläche.
„Sieh mal einer an, da hat sie also dich geschickt.“ Sorglos rubbelte Lara sich mit einem Schwamm über die Schulter. Nach einem Blick auf den Schaumberg war sie beruhigt. Ihre Blöße war gewisszüchtiger bedeckt, als es manche Damen auf der Party heute Abend würden von sich behaupten können. „Na, komm schon rein und sieh mich nicht so vorwurfsvoll an. Ich werde dich schon nicht darum bitten, mir den Rücken zu waschen.“
Bei Laras Anblick fiel ihm Kleopatra in ihrer Barke ein. Wie viele Männer außer Cäsar und Mark Anton hatte sie wohl noch um den Verstand gebracht? Anatole warf einen Blick auf die Spiegelwand hinter dem Waschbecken. Sie war beschlagen vom Wasserdampf, der sichtbar aus der Badewanne aufstieg. „Ist das Wasser heiß genug?“
Lara ignorierte die Bemerkung.
„Weißt du, was das für Zeug ist?“, fragte sie und nahm die blassrosa Seife aus der Schale, die eine cremige Schaumschicht auf ihrer Haut hinterließ. „Das ist eine scheußlich schmeckende Mixtur, die Tulip mir in regelmäßigen Abständen einzutrichtern versucht. Sie enthält rohe Eier und andere abscheuliche Zutaten.“ Lara verzog das Gesicht, hob ein überraschend langes Bein aus dem Wasser und seifte es ein. „Sag mir die Wahrheit, Anatole, würdest du freiwillig rohe Eier trinken?“
Anatole beobachtete, wie sie mit dem Stück
Weitere Kostenlose Bücher