Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann aus Israel (German Edition)

Der Mann aus Israel (German Edition)

Titel: Der Mann aus Israel (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Margaret Jardas
Vom Netzwerk:
der Verklärung
Christi, die hier stattgefunden haben soll. „Drei seiner Jünger standen ihm zur
Seite“, sagt er. „und auch die großen Verkündigungspropheten des Alten
Testaments, Moses und Elias, kamen herbei, als die Hand Gottes aus dem Himmel
griff, um Jesus gleichsam vor Zeugen als seinen Sohn zu identifizieren.“ Er
erwähnt die historische Unsicherheit des Ortes. Die Verklärung hätte auch auf
dem Golan oder auf dem Ölberg stattfinden können, aber zur Zeit der Byzantiner
beschloss man, dem Tabor den Zuschlag zu geben.
    „Möchtest Du noch etwas dazu sagen?“ fragt mich Raffael.
Mann, denke ich, wir sind ja heute von einer ausgesuchten Höflichkeit.
    „Ja, gerne.“ antworte ich erfreut. Ich erzähle ein wenig vom
altorientalischen Gott Baal, dessen Kult eine große Anziehungskraft hatte und
in enormer Konkurrenz zum monotheistischen Jahwe des Alten Testaments stand.
Hier oben war eine wichtige Opferstätte dieses mächtigen Gottes. Blutrünstige
Geschichten über Baal und die Göttin Anat, der Schwester und Geliebten, von
seiner gewaltigen Potenz und ihrem unersättlichen Liebeshunger, erzählen die Tontafeln
von Ugarit, die inzwischen entziffert worden sind. „Einmal verschlingt die
Göttin in ihrer kannibalischen Liebeswut einen ihrer Brüder.“ erzähle ich. „Ich
schwöre es Ihnen, es steht einwandfrei auf einem Tontäfelchen, das man 1960
gefunden hat. Weil er sehr schön war, zerriss sie sein Fleisch, ohne ein Messer
zu gebrauchen. Sie trank sein Blut, ohne eine Schale.“ Warum erzähle ich denn
plötzlich solche Revolvergeschichten, denke ich, über Baal lässt sich doch auch
Seriöseres berichten. Aber ich bin in Schwung und setze gleich noch eins drauf.
„Und einmal begegnet Baal einer Kuh und wird so von Begierde erfasst, dass er
sie siebenundsiebzig Mal hintereinander begattet.“
    „Wow!“ rufen alle begeistert. „Was für ein Kerl.“ Jetzt
geniere ich mich doch ein wenig. „Wollen wir jetzt mal das Innere der Kirche
betrachten?“ fordere ich die Gruppe auf. Wir gehen hinein. In der byzantinisch
nachempfundenen Apsis wird gerade für eine Pilgergruppe die Messe gelesen.
Durch die hauchdünnen Alabaster-Fenster dringt mildes Licht. Die Pilger
verstreuen sich, ich will gerade ansetzen, den Reisenden die stilistischen
Feinheiten der Apsismosaiken zu erläutern, da stellt sich Herr Rütimeier vor
den Altar, faltet die Hände und sagt „Dir, Maria Muttergottes, sei dieses Lied
gesungen zum Dank dafür, dass wir so eine schöne Reise erleben dürfen.“ Ich
muss schlucken, habe plötzlich einen Kloss im Hals. Das gibt`s doch nicht,
denke ich, meint der ehrlich, Maria sei für den Erfolg dieser Reise zuständig?
Ich schiele zu Raffael hinüber. Was mag er wohl darüber denken? Aber er
reagiert nicht, schaut einfach geradeaus. Ich habe Schweißfinger, so peinlich
ist mir dieser Auftritt. Aaaaave Mariiiiia graaaaaazia plena dominus
tecum... Ausgerechnet dieses Kitsch-Lied muss es auch noch sein, denke ich,
aber wenigstens hat er die Bach`sche Version gewählt. Die ist noch einigermaßen
erträglich. Et benedictus fructus ventris tui Jesus... Ich glaube es
nicht. Das klingt ja schön! Herr Rütimeier lässt seine Stimme mit einer so
hingebungsvollen Reinheit durch den Raum schwingen, dass mir der Mund
offenstehen bleibt. Ganz sauber intoniert ist sein Gesang, schmiegsam und
zurückgenommen in der Lautstärke. Kein Gewürge um die hohen Töne, kein Drücken
um mehr Ausdruck. Die Engelstöne saugen sich in mein Herz, ich spüre jeden
einzelnen. Mein Herz fühlt sich an, als würde es schmelzen. Die Tränen schießen
mir in die Augen. Aaaamen Aaaamen endet das Lied, kaum hörbar verklingt
sanft der letzte Ton. Meine Mundwinkel zucken, ich ziehe die Nase hoch,
vergesse, nach einem Taschentuch zu suchen, so ergriffen bin ich. Den anderen
geht es ähnlich. Sie stehen neben mir im Halbrund und ringen um ihre Fassung. Langsam,
langsam löst sich der Griff ans Gemüt, und wir gehen nach draußen.
    Ich dachte immer, nur alte Frauen, jenseits von Gut und
Böse, weinen über dieses Lied mit seiner weihevollen Sentimentalität. Am
liebsten an offenen Gräbern oder bei Hochzeiten. Und beweinen damit
gleichzeitig ihre verlorene Jugend und Schönheit und die Aussicht auf einen
Flirt. Und jetzt stehe ich da, und die Tränen kullern mir über die Wangen. Bin
ich schon so weit? 
    „War das nicht ein bisschen dick aufgetragen und arg deutsch
und seelenvoll für Dich?“ frage ich Raffael, der

Weitere Kostenlose Bücher