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Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Der Mann Aus St. Petersburg: Roman

Titel: Der Mann Aus St. Petersburg: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ken Follett
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Waffe bedrohte. Er genoß es, sich von dem jungen Stubenmädchen bewundern zu lassen, und erholte sich ziemlich rasch von der Schande, splitternackt in die Küche gekommen zu sein.
    Pritchard erklärte: »Ich nahm natürlich zuerst an, der Dieb habe es nur auf Williams Kleider abgesehen. Da Charles vor dem Palast wartete, hätte er ja an Williams Stelle kutschieren können. Daher wollte ich die Polizei erst benachrichtigen, nachdem ich mit Seiner Lordschaft gesprochen hatte.«
    Der Lakai Charles sagte: »Stellt euch vor, wie überrascht ich war, als ich den Wagen nicht mehr sah! Ich sage mir, ich weiß doch genau, daß er hier stand. Und dann denke ich, na schön, William hat wahrscheinlich den Platz gewechselt. Ich renne die Mall rauf und runter und suche ihn überall. Schließlich laufe ich zum Palast zurück. ›Wir haben Ärgere, sage ich zum Türsteher, ›der Wagen des Earl of Waiden ist spurlos verschwunden. ‹ Da sagt er zu mir: ›Waiden?‹ Nicht gerade sehr respektvoll, muß ich sagen .«
    Mrs. Mitchell unterbrach ihn: »Diese Palastdiener! Bilden sich ein, sie seien etwas Besseres als der Adel.«
    »Er sagt zu mir: ›Waiden ist schon lange fort, Kumpel.‹ Ach du liebe Zeit, denke ich mir, jetzt sitze ich in der Tinte! Ich komme durch den Park gerannt, und auf dem halben Weg nach Hause finde ich den Wagen, und die gnädige Frau weint und schreit, und Seine Lordschaft steht da mit einem blutigen Schwert!«
    Mrs. Mitchell sagte: »All der Aufruhr, und nichts wurde gestohlen.«
    »Ein Irrer«, sagte Charles. »Ein ganz raffinierter Irrer.«
    Alle stimmten ihm zu.
    Die Köchin goß Tee ein und bediente Charlotte zuerst.
    »Wie geht es der gnädigen Frau jetzt?« erkundigte sie sich.
    »Ach, soweit ganz gut«, sagte Charlotte. »Sie ist zu Bett gegangen und hat ein Schlafmittel genommen. Wahrscheinlich schläft sie bereits.«
    »Und die Herren?«
    »Papa und der Fürst Orlow sind im Salon und trinken Cognac.«
    Die Köchin seufzte auf. »Räuber im Park und Frauenrechtlerinnen bei Hof . Ich weiß nicht, wie das enden soll.«
    »Es wird eine sozialistische Revolution geben«, sagte Charles. »Das sehe ich voraus.«
    »Man wird uns alle in unseren Betten ermorden«, bemerkte die Köchin mit unheilvoller Miene.
    Charlotte sagte: »Was meinte die Frauenrechtlerin eigentlich, als sie sagte, daß der König Frauen foltere?«
    Während sie sprach, blickte sie Pritchard an, der manchmal bereit war, ihr Dinge zu erklären, von denen sie nichts wissen sollte.
    »Sie redete von der Zwangsernährung«, erklärte Pritchard. »Das ist angeblich sehr schmerzhaft.«
    »Zwangsernährung?«
    »Wenn sie nicht essen wollen, zwingt man sie dazu.«
    Charlotte war verblüfft. »Wie wird denn das gemacht?«
    »Auf verschiedene Arten«, antwortete Pritchard mit einer Miene, die ihr zu verstehen gab, daß er nicht auf Einzelheiten eingehen wollte. »Durch die Nase zum Beispiel.«
    Das Stubenmädchen sagte: »Was man ihnen wohl gibt?«
    »Wahrscheinlich heiße Suppe«, sagte Charles.
    »Das kann ich nicht glauben«, entgegnete Charlotte.
    »Warum sollten sie sich weigern zu essen?«
    »Es ist ein Protest«, erklärte Pritchard.
    »Um den Gefängnisbehörden Schwierigkeiten zu machen.«
    »Gefängnis?« Charlotte war erstaunt. »Warum steckt man sie ins Gefängnis?«
    »Weil sie Fenster einschlagen, Bomben werfen, die öffentliche Ruhe stören …«
    »Aber was wollen sie denn?«
    Alle schwiegen, denn jetzt wußten sie, daß Charlotte keine Ahnung hatte, was eine Frauenrechtlerin war.
    Schließlich erklärte Pritchard: »Sie wollen das Wahlrecht für die Frauen.«
    »Ach so.« Habe ich eigentlich gewußt, daß Frauen nicht wählen dürfen, fragte sich Charlotte. Sie war sich nicht ganz sicher. Über derartige Dinge hatte sie noch nie nachgedacht.
    »Ich finde, wir haben jetzt genug über dieses Thema gesprochen«, ließ sich Mrs. Mitchell mit fester Stimme vernehmen. »Sie werden noch Ärger kriegen, Mr. Pritchard, wenn Sie dem gnädigen Fräulein falsche Ideen in den Kopf setzen.«
    Charlotte wußte, daß Pritchard keinen Ärger kriegen würde, denn er war so etwas wie Papas Freund. Sie sagte: »Ich frage mich nur, warum ihnen ausgerechnet das Wahlrecht so wichtig ist.«
    Es klingelte, und alle blickten gespannt auf das Klingelbrett.
    »Die Eingangstür«, sagte Pritchard. »Zu so später Stunde!« Er ging hinaus und zog sich seine Jacke an.
    Charlotte trank ihren Tee. Sie fühlte sich müde. Die Frauenrechtlerinnen sind rätselhaft

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