Der Mann Aus St. Petersburg: Roman
Das Zimmer war voller Säuredunst. Er hatte eine rauhe Kehle. Die Mischung in der Schüssel blieb klar. Er gab sich Wachträumen über Lydia hin. Sie trat splitternackt und lächelnd in sein Kellerzimmer, und er schickte sie fort, weil er zu beschäftigt war.
»Salz, Mostrich, Essig, Pfeffer.«
Er schüttete die letzte Flasche Säure hinein, so langsam und vorsichtig wie die ersten.
Während er immer noch umrührte, drehte er den Hahn weiter auf, bis das Wasser in die Schüssel lief, und wusch dann behutsam die überschüssige Säure fort.
Als er fertig war, hatte er eine Schüssel voller Nitroglyzerin.
Das war eine explosive Flüssigkeit, die an Sprengkraft das Schießpulver um ein Zwanzigfaches übertraf. Man konnte es durch einen Auslöser zur Explosion bringen, aber ein Auslöser war nicht unbedingt notwendig, denn auch ein brennendes Streichholz oder die Wärme eines Feuers in der Nähe genügten. Felix hatte einmal einen sehr unvorsichtigen Mann gekannt, der eine Flasche Nitroglyzerin in der Brusttasche seiner Jacke trug und damit herumgelaufen war, bis seine eigene Körperwärme die Explosion ausgelöst und ihn, drei andere Menschen und ein Pferd auf einer Straße in St. Petersburg getötet hatte. Eine Flasche Nitroglyzerin explodierte auch, wenn man sie stark schüttelte, zu Boden fallen ließ oder mit ihr an einen harten Gegenstand stieß.
Mit äußerster Vorsicht tauchte Felix eine saubere Flasche in die Schüssel und ließ sie langsam vollaufen. Dann stöpselte er sie zu, nachdem er sich überzeugt hatte, daß sich kein Nitroglyzerin im Flaschenhals befand.
Es blieb noch einige Flüssigkeit in der Schüssel, die er natürlich nicht in den Ausguß entleeren konnte.
Felix ging an sein Bett und nahm das Kopfkissen heraus. Es schien mit Baumwollresten gefüllt zu sein. Er riß ein kleines Loch in den Überzug und nahm etwas von der Füllung heraus. Sie bestand aus zerhackten Lumpen mit einigen Federn. Er legte es in die Schüssel mit dem restlichen Nitroglyzerin. Die Füllung sog die Flüssigkeit recht gut auf. Er fügte noch etwas mehr davon hinzu, bis alle Flüssigkeit aus der Schüssel verschwunden war, dann rollte er das Zeug zusammen und wickelte es in Zeitungspapier. Jetzt bildete es eine ziemlich feste Masse, wie Dynamit – was es ja auch war. Dieses Material explodierte nicht so leicht wie die reine Flüssigkeit in der Flasche. Das Anzünden des Zeitungspapiers sollte genügen, vielleicht genügte es aber nicht. Was er wirklich brauchte, war ein Trinkhalm aus Papier mit einer Ladung Schießpulver. Aber Felix plante nicht, das Dynamit zu benutzen, denn er benötigte einen zuverlässigen und sofort anwendbaren Sprengstoff.
Er wusch und trocknete die Schüssel noch einmal. Dann verstöpselte er das Waschbecken, füllte es mit Wasser und legte die Flasche mit dem Nitroglyzerin hinein, um sie kühl zu halten.
Nun ging er hinauf und brachte Bridgets Mixschüssel in die Küche zurück.
Als er wieder in seinem Zimmer war, blickte er zufrieden auf die Bombe in seinem Waschtisch. Ich habe keine Angst gehabt, freute er sich. Den ganzen Nachmittag über habe ich mich nicht ein einziges Mal vor dem Tod gefürchtet.
Er hatte sich schon lange nicht mehr so gut gefühlt.
Jetzt mußte er nur noch das Savoy-Hotel finden.
7
W aiden bemerkte, daß sowohl Lydia als auch Charlotte beim Tee sehr einsilbig waren. Er selbst war ebenfalls in nachdenklicher Stimmung. So kam es zu keinem zusammenhängenden Gespräch.
Nachdem er sich zum Abendessen umgezogen hatte, saß er im Salon, nippte an seinem Sherry und wartete auf seine Frau und seine Tochter. Sie waren heute abend zum Essen bei den Pontadarvys eingeladen. Es war ein warmer Abend. Wenigstens was das Wetter anging, war es bis jetzt ein angenehmer Sommer gewesen. Alex’ Rückzug in die Geborgenheit des Savoy hatte die Verhandlungen in keiner Weise beschleunigt. Alex weckte zwar die gleichen Sympathien wie ein Kätzchen, aber er hatte auch dessen scharfe Zähne. Waiden hatte ihm den mit Churchill abgesprochenen Gegenvorschlag unterbreitet, den Plan einer internationalen Wasserstraße vom Schwarzen Meer zum Mittelmeer. Alex hatte ihm ohne Umschweife erwidert, eine solche Lösung sei für ihn nicht akzeptabel, denn im Kriegsfall – wenn diese Passage erst lebenswichtig werde – könnten weder Großbritannien noch Rußland verhindern, daß die Türken den Zugangsweg sperrten. Rußland wünsche nicht nur das Durchfahrtsrecht, sondern auch die Macht, dieses
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