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Der Mann, der den Regen träumt

Der Mann, der den Regen träumt

Titel: Der Mann, der den Regen träumt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Al Shaw
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Komplex, gekrönt von einem kleinen Turm mit einem Kruzifix auf dem Dach. Die Außenwände waren von Kieseln durchsetzt und so weit erodiert, dass ihre Ecken und Kanten wie abgeschmirgelt wirkten, was dem gesamten Bau den Anschein einer zerbröckelnden Sandburg verlieh. Selbst das Kruzifix wirkte verwittert. Der Wind schlängelte sich darum herum und ließ es flimmern wie unter einer Hitzewelle.
    Dies war das Kloster von Sankt Catherine und bei dem harten, ausgetrockneten Boden, auf dem es errichtet war, waren keine gesonderten Parkplätze nötig. Elsa stellte den Wagen ab, holte tief Luft und stieg aus. Der Wind erfasste sofort eine Handvoll von ihrem Haar, als wollte er sie daran zurück nach Thunderstown zerren. Erschrocken über seine Wucht hielt sie sich am Auto fest, um ihr Gleichgewicht wiederzufinden. Staub wehte ihr in die Augen und sie musste dem Kloster für einen Moment den Rücken zukehren, um die feinen Körnchen fortzuwischen. Der Wind tat sein Möglichstes, um sie von ihrem Weg abzubringen, als sie sich der hohen weißen Tür in der Klostermauer näherte. Die Tür hatte eine große Messingklinke und zu Elsas Überraschung war ein Glückshufeisen an das Holz genagelt. Sie drückte die Klinke hinunter und stellte erleichtert fest, dass nicht abgeschlossen war. Noch immer vom Wind umtost, stolperte sie mehr durch die Tür, als dass sie hindurchtrat, und schaffte es nur mit äußerstem Kraftaufwand und vor Anstrengung zusammengebissenen Zähnen, sie wieder zuzuschieben. Sie krachte zurück in ihren Rahmen und der Wind heulte und schlug von der anderen Seite dagegen.
    Sie war in eine kleine Vorhalle gelangt, eine Art Windfang zum Schutz vor den Elementen. Geradeaus befand sich eine weitere große Tür, von der Elsa annahm, dass dahinter der Kreuzgang des Klosters lag. Sie band sich die sturmzerzausten Haare zusammen, machte sich bereit für einen weiteren Angriff des Windes und öffnete die Tür.
    Dichter Rasen in sattem Grün erstreckte sich im Inneren des Kreuzgangs. In zahlreichen Beeten wuchsen grazile Pflanzen, um deren reglose Blüten braune Bienen schwirrten und geduldig nach Nektar suchten, bevor sie in ihren Korb zurückkehrten, der an einer der Mauern befestigt war. Einige der Blumen trumpften mit orangefarbenen Blüten auf, die so groß und hauchdünn waren wie Kronen aus Seidenpapier, und ihre Stängel wirkten so schlank, als könnte der kleinste Windhauch sie umknicken. Doch sie standen alle völlig starr und kein Lüftchen regte sich ringsum. Der Wind tobte noch immer hoch über ihnen (als Elsa aufsah, schimmerte dort der blaue, von Wolken durchsetzte Himmel), aber kein einziger Luftzug gelangte in dieses kleine Heiligtum hier unten.
    Plötzlich bemerkte Elsa, dass die Mauern ringsum über und über mit ganz ähnlichen Talismanen behängt waren – es mussten Hunderte sein –, wie sie sie in ihrer ersten Nacht in Thunderstown an einer Kette vor ihrem Schlafzimmerfenster entdeckt und in den Hof hinuntergeworfen hatte. Sie sah Federn, Münzpaare, Fellbüschel und Raubtierzähne. Es waren so viele, dass es schien, als hielten sie – und nicht der Mörtel – die Klostermauern aufrecht.
    In einer anderen Mauer befand sich ein Taubenschlag, aus dem der Geruch von Vogelkot und Daunen zu ihr herüberdrang. Auf der gegenüberliegenden Seite, oberhalb einer türkisfarbenen Flügeltür und zweier Buntglasfenster, erhob sich der Giebel der Kapelle. Elsa schlenderte darauf zu und hörte hohe, an- und abschwellende Stimmen aus dem Inneren des Gebäudes. Die Nonnen beendeten gerade ihr Gebet. Sie drehte sich um und suchte nach einem Ort, wo sie Platz nehmen und warten konnte, als sie plötzlich einen alten Mann sah, der, an die Mauer gelehnt und die Hände auf den Knien gefaltet, auf dem Boden saß. Er war glatt rasiert und doch kringelten sich ein oder zwei vorwitzige weiße Härchen auf seiner olivbraunen Haut, die von Falten, so dunkel und tief wie seine Nasenlöcher, durchzogen war. Seine Augen waren strahlend weiß und weder Pupillen noch Iris waren darin zu sehen. Eine Biene summte unbemerkt über eine seiner uralten Wangen und inspizierte eines der drahtigen weißen Haare, als wäre es das Staubblatt einer Blüte.
    In diesem Moment trat eine alte Frau aus dem Taubenschlag, auf ihrer Schulter hockte wie selbstverständlich eine Taube. Die Frau war keine Nonne, aber trotzdem ganz in Grau gekleidet. In tatterigem Slalom ging sie zu dem Mann an der Mauer und setzte sich zu ihm auf den Boden.
    Elsa

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