Der Mann, der niemals schlief: Ein Tom-Sawyer-Roman
gemacht, Sie Schwein?«
Dobbins antwortete nicht. Er blickte zu Boden, zu etwas, das jenseits von Toms Blickfeld war. »Komm her! Ja, so ist es gut, Kleiner, komm zu mir!« Dobbins bückte sich, und als er wieder aufstand, hatte er Hollis auf dem Arm. Der Hund winselte und leckte ihm das Gesicht. Dobbins lachte. »Ist ja gut, ist ja gut, Kleiner! Wahrscheinlich rieche ich immer noch nach läufiger Hündin.« Er sah zu Tom. »Auch er ist machtlos gegen die Gesetze der Natur, Tom. Siehst du, wie er mich liebt? Nur weil ich wie etwas rieche, was ihn erregt.«
»Hollis, fass! Beiß ihn!«
Doch Hollis leckte über Dobbins’ Hände, als hätte Tom gar nichts gesagt.
Zärtlich strich Dobbins ihm über das Fell. »Ich hab den armen Kerl losgebunden, nachdem du den Eingang entdeckt hast und hineingegangen bist. Ich hab da draußen auf dich gewartet. Irgendwie wusste ich, dass du kommst. Und ich habe mich nicht geirrt.«
Tom presste die Lippen aufeinander. Zorn über sich selbst kochte in ihm hoch. Warum hatte er das Ufer nicht besser abgesucht? Wie hatte er sich nur so leicht übertölpeln lassen können?
Dobbins drückte Hollis einen Kuss auf das Fell. » Hollis nennst du ihn? Wie den Hilfssheriff? Das ist sehr einfallsreich, Tom. Ich habe ihn schlicht November ’ 64 genannt, weil er und seine Geschwister in diesem Monat geboren wurden. Aber er ist mir nicht gelungen, siehst du?«
Grob packte er Hollis an der Schnauze und drehte den Kopf des winselnden Hundes so, dass Tom ihn von der Seite sehen konnte. »Der Stopp ist zu flach, die Kruppe zu hoch, die Rute zu kurz. Außerdem hatte ich mit weniger Flecken gerechnet. Aber ich habe inzwischen große Fortschritte bei den Hunden gemacht. Hollis und seine Geschwister sind eher missraten. Ich war gerade dabei, St. Petersburg von dieser Plage zu befreien und sie wieder loszuwerden, als Joe Harper mir in die Quere gekommen ist.«
»Sie kranker Bastard! Sie haben Joe das Gesicht zertrümmert. Und Sie haben Polly umgebracht!«
Dobbins schob die Unterlippe vor, als würde er ernsthaft über das nachdenken, was Tom gerade gesagt hatte, und schließlich nickte er. Dann setzte er Hollis ab und wandte sich zu einem weiteren Tisch, auf dem Operationsbesteck, Reagenzgläser und Papiere verstreut lagen.
Tom drehte den Kopf, um ihn über Beckys leblosen Körper hinweg zu beobachten, und von seiner Nase fuhren pochende Schmerzen über sein ganzes Gesicht. Eine Woge der Übelkeit schwappte über ihn, und er musste würgen.
»Entspann dich, Tom. Nicht dass du brechen musst.« Dobbins begann die Papiere zusammenzulegen, sprach über die Schulter gewandt: »Und ja. Ich habe deine Tante umgebracht. Ich wollte es nicht, aber sie hat mich dazu gezwungen.«
»Sie hat Sie gezwungen ? Sie sind ein kranker Bastard!«
Dobbins nahm den Packen Papiere und legte ihn behutsam in eine Reisetasche. Er drehte sich um. »Das bin ich nicht. Und du kannst mir ruhig glauben, wenn ich sage, sie hat mich gezwungen. Siehst du, Tom, deine Tante dachte, sie würde St. Petersburg als Engelmacherin einen Dienst erweisen. Tatsächlich hat sie genau das Gegenteil getan. Sie wusste es einfach nicht besser. Wenn man der Population dieser Stadt oder irgendeiner Population, ganz gleich, ob aus dem Tierreich oder aus dem Reich der Menschen, einen Gefallen tun will, sie verbessern will, muss man Charles Darwin lesen. Und Mendel. Und auch Francis Galton.« Er zögerte, legte den Kopf schräg und betrachtete Tom. »Deinem verwirrten Blick entnehme ich, dass du die Schriften dieser Männer ebenso wenig kennst, wie deine Tante sie kannte. Ein bedauerlicher Fehler.«
Dobbins wandte sich wieder ab. Er ging zu einem Regal und nahm eines der Einmachgläser mit einem Präparat heraus. Er trat an den Tisch, auf dem Tom lag, und hielt ihm das Glas vor das Gesicht. Es war ein kleiner Frosch, der in der trüben Flüssigkeit schwamm. Ein gelbgrüner Frosch, an dessen einem Hinterbein eine taubeneigroße Geschwulst wucherte. »Ein Ochsenfrosch. Rana catesbeiana. Ich habe ihn hier am Ufer gefunden. Siehst du den Tumor an seinem Bein? Er behindert ihn beim Jagen, macht ihn schwächer und langsamer als seine Artgenossen. Er wäre unweigerlich verhungert, wenn ich ihn nicht vorher gefangen hätte.«
Dobbins stellte das Glas neben Becky ab und stützte die Hände auf den Tisch, als wäre es sein Pult und Tom noch immer sein widerborstiger Schüler. »Die Natur, lieber Tom, regelt diesen Mangel von allein. Der Frosch ist fehlerhaft,
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