Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte
1956) und sie ist sich keines Fehlers bewußt. Intellektuell weiß und versteht sie, daß sie etwas falsch macht, und lacht darüber, aber es ist ihr unmöglich, es direkt zu erfahren.
Da sie geistig - durch Schlußfolgerung - in der Lage ist, zu begreifen, daß ihre Wahrnehmung fehlerhaft ist, hat sie Strategien entwickelt, um dem zu begegnen. Sie kann nicht direkt nach links sehen oder sich nach links wenden, und daher dreht sie sich nach rechts und beschreibt dabei einen vollständigen Kreis. Um dies tun zu können, hat sie um einen Rollstuhl gebeten, der sich um die eigene Achse drehen kann, und ihn auch bekommen. Wenn sie jetzt etwas, von dem sie weiß, daß es da sein müßte, nicht finden kann, fährt sie nach rechts herum, bis es in Sicht kommt. Diese Methode ist besonders dann erfolgreich, wenn es ihr nicht gelingt, ihren Kaffee oder ihr Dessert zu finden. Wenn ihr die Portionen zu klein vorkommen, dreht sie sich, die Augen nach rechtsgerichtet, rechts herum, bis die «fehlende» Hälfte in ihr Blickfeld kommt; dann ißt sie diese, oder vielmehr die Hälfte davon, worauf sie sich weniger hungrig fühlt als zuvor. Aber wenn sie noch nicht satt ist oder über die Sache nachdenkt und den Eindruck gewinnt, sie könnte nur die Hälfte der fehlenden Hälfte gesehen haben, macht sie eine zweite Drehung, bis sie das verbleibende Viertel sieht, von dem sie wieder die Hälfte ißt. Das reicht gewöhnlich aus, um ihren Hunger zu stillen - immerhin hat sie jetzt sieben Achtel ihrer Mahlzeit verzehrt. Manchmal aber, wenn sie sehr hungrig oder besonders gründlich ist, führt sie noch eine dritte Drehung aus und ißt ein weiteres Sechzehntel ihrer Mahlzeit. (Dabei bleibt natürlich das linke Sechzehntel auf dem Teller unbemerkt.) «Es ist absurd», sagt sie. «Ich komme mir vor wie Zenos Pfeil: Ich erreiche nie das Ziel. Mag sein, daß es komisch aussieht, aber was bleibt mir unter diesen Umständen anderes übrig?»
Es wäre wahrscheinlich weitaus einfacher, nicht sich selbst, sondern ihren Teller zu drehen. Das findet sie auch, und sie hat es versucht - oder zumindest hat sie versucht, es zu versuchen. Doch seltsamerweise bereitet ihr diese einfache Handlung Schwierigkeiten. Der erforderliche Bewegungsablauf ist für sie, im Gegensatz zur Drehung um ihre eigene Achse, nicht natürlich, weil ihr Sehen, ihre Aufmerksamkeit, all ihre spontanen Bewegungen und Impulse jetzt instinktiv und ausschließlich nach rechts orientiert sind.
Als besonders verletzend empfand sie die spöttischen Bemerkungen der anderen Patienten, als sie mit einem nur zur Hälfte aufgetragenen Makeup vor ihnen erschien. Sie bot einen absurden Anblick, da auf der linken Seite ihres Gesichtes, im krassen Kontrast zur rechten, keine Spur von Rouge oder Lippenstift zu sehen war. «Ich setze mich vor den Spiegel», sagte sie, «und schminke alles, was ich sehe. » Wir fragten uns, ob man ihr mit einem «Spiegel» helfen könne, in dem sie die linke Seite ihres Gesichtes rechts sehen würde, einer Apparatur also, die sie so zeigen würde, wie ein Gegenüber sie sieht. Wir versuchten es mit einer Video-Kamera und einem Bildschirm. Das Ergebnis war überraschend und seltsam. Denn jetzt, mit dem Bildschirm als «Spiegel», sah sie die linke Hälfte ihres Gesichtes rechts - eine Erfahrung, die selbst für einen normalen Menschen verwirrend ist (wie jeder bestätigen kann, der jemals versucht hat, sich vor einem Video-Monitor zu rasieren), und in ihrem Fall doppelt irritierend und unheimlich, weil die linke Gesichts- und Körperhälfte, die sie jetzt sah, infolge ihres Schlaganfalls gefühllos und für sie nicht existent war. «Nehmen Sie diesen Apparat wieder mit! » rief sie gequält und verwirrt, und so gaben wir diesen Versuch auf. Das war bedauerlich, denn solche Formen von Video-Feedback könnten, wie auch R. L. Gregory vermutet, für Patienten mit halbseitigem Gesichtsfeldausfall höchst vielversprechend sein. Das ganze Problem ist jedoch physisch, ja metaphysisch, so verwirrend, daß nur Experimente Aufschluß geben können.
Nachschrift
Computer und Computerspiele (die 1976, als ich Mrs. S. zum erstenmal begegnete, noch nicht auf dem Markt waren) können Menschen mit halbseitiger Beeinträchtigung dazu dienen, die «fehlende» Körperhälfte zu überwachen, oder ihnen dabei helfen zu lernen, wie sie diese Aufgabe selbst bewältigen können - ein unschätzbarer Gewinn. Ich habe 1986 einen kurzen Film darüber gemacht.
Fast gleichzeitig mit der ersten
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