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Der Mann, der's wert ist

Der Mann, der's wert ist

Titel: Der Mann, der's wert ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eva Heller
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ist.
»Folgendes Problem: Mein Patenonkel feiert heute abend seinen 75. Geburtstag.
Er ist ein äußerst konservativer Herr, der mich für unsolide hält, da ich nicht
verheiratet bin. Um dem alten Mann eine Freude zu machen, möchte ich mit einem
seriösen Herrn erscheinen. Meine Bekannte hat mir einen Begleiter zugedacht,
der allein deshalb unseriös erscheint, weil er zu jung ist. Aber Sie würden
altersmäßig zu mir passen. Und ich wünsche tadellose Manieren und tadelloses
Auftreten. Der Anzug, den Sie tragen, ist in Ordnung.«
    »Was werden Sie tragen, gnädige
Frau?«
    »Ein dunkelblaues Samtkostüm
mit Goldpaspeln. Sehr dezent. Von Chanel.«
    »Dazu wäre dieser Anzug zu leger.
Ich werde passend zu Ihrem Kostüm einen dunkelblauen Anzug tragen. Sehr dezent.
Von Armani. Krawatte oder Fliege dazu?«
    »Das dürfen Sie entscheiden«,
sagte Frau Masur. »Die Feier findet im Restaurant statt, selbstverständlich
bekommen Sie dort alles umsonst.«
    »Selbstverständlich. Ich werde
eine Krawatte tragen, manchen Herrschaften erscheint eine Fliege zu frivol.
Soll ich einen Ehering tragen?«
    »Sind Sie verheiratet?«
    »Für Ihren Abend bin ich, was
Sie wünschen. Falls Sie mich als Ihren Ehemann vorstellen wollen, bitte sehr.«
    »Nein, das geht zu weit.« Nach
einer Pause sagte sie: »Allerdings sollten Sie nicht sagen, daß Sie anderweitig
verheiratet sind, falls Sie es sind.« Wieder eine Pause. »Und geschieden kommt
auch nicht gut an. Mein Onkel ist im Kirchenvorstand. Wie ich den Verein kenne,
werden heute abend fromme Menschen um uns sein.« Und dann sagte sie sehr
undamenhaft: »Bääh.«
    »Verstehe, gnädige Frau,
folglich bin ich Witwer. Ein Mann in meinem Alter muß verheiratet gewesen sein,
um solide zu wirken. Ich bin seit fünf Jahren Witwer. Das ist eine angemessene
Trauerzeit. Meine Frau starb an Krebs. Sehr tragisch. Niemand wird so pietätlos
sein, weitere Fragen zu stellen.«
    »Ich merke, Sie denken mit«,
sagte Frau Masur cool.
    »Familienfeiern stellen hohe Anforderungen,
gehören zu den schwierigsten Aufgaben meines Berufs. Man muß eine Rolle
aufbauen. Klären wir zuerst, wie wir uns kennengelernt haben, man wird uns
danach fragen.«
    »Auf einer Party? Irgendwann
letztes Jahr?«
    »Ein Jahr ist eine lange Zeit,
gnädige Frau. Gerade Verwandte stellen oft tückische Fragen nach gemeinsamen
Erlebnissen und gemeinsamen Bekannten. Darf ich Ihnen aufgrund meiner Erfahrung
einen Vorschlag machen?«
    »Bitte.«
    »Die plötzliche große Liebe,
die das jahrelange Warten auf den Richtigen als richtig erwiesen hat, das ist
die beste Geschichte. Und möglichst wenig Menschen, die bisher von unserem
Glück wissen. Reden Sie nur von zukünftigen Plänen, wenn Sie von uns erzählen,
vermeiden Sie alles, was in der Vergangenheit liegt. Wenn wir sagen, wir hätten
uns Silvester kennengelernt, kennen wir uns seit immerhin zwölf Wochen, das
genügt, um zu wissen, daß es die wahre Liebe ist, in unserem Alter.«
    »Da gebe ich Ihnen recht. Wir
könnten sagen, wir hätten uns auf einem Silvesterball kennengelernt.«
    »Und wer hat uns auf dem
Silvesterball miteinander bekannt gemacht? Ein Kollege? Was machen Sie
beruflich?«
    »Ich bin Staatsanwältin.«
    »Das ist optimal«, rief Thomas,
»da haben Sie soviel Interessantes zu erzählen. Und passenderweise habe ich als
Rechtsanwalt viel Erfahrung. Mein Fachgebiet ist internationales
Markenartikelrecht. Das interessiert nur wenig Menschen. Oder haben Sie
zufällig jemand in der Familie, der etwas davon versteht?«
    »Nicht daß ich wüßte.«
    »Sehr gut. Bezüglich des
Kennenlernens möchte ich einen Vorschlag machen, der Ihrem Onkel sicherlich
eine besondere Freude macht: Sagen wir, wir hätten uns nach dem
Neujahrsgottesdienst kennengelernt. Sie standen vor der Kirche, unschlüssig, ob
Sie einen Spaziergang machen sollten. Ich stand vor der Kirche, in Gedanken an
meine verstorbene Frau versunken... Wir standen beide vor der Kirche, und das
Geläut der Glocken trieb mich wie eine innere Stimme, die Glocken sagten mir:
Sieh dich um! Und da sah ich Sie. Es erschien mir wie ein Gebot der Glocken,
Sie zu fragen, ob ich Sie ein Stück begleiten dürfte. ...Nun gehen wir unseren
Lebensweg gemeinsam.«
    »Das ist zu kitschig«, sagte
Frau Masur.
    »Ein durchaus klassisches
Motiv, gnädige Frau. Auch Goethes Faust wird aus selbstmörderischer Depression
durch das Geläut der Glocken errettet. Für eine christliche Seele ist das nicht
Kitsch, sondern die Wahrheit.

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