Der Mann im Schatten - Thriller
Shauna.
Ich erhob mich von der Couch und packte sie am Arm. Ich wollte ihr danken, doch es fühlte sich mehr an wie ein unzulänglicher Ausdruck alter Zärtlichkeitsgefühle, die in diesem
Moment in mir aufstiegen. Andererseits, ich brauchte dringend Unterstützung - schon seit drei Wochen -, und Shauna war zu meiner Rettung herbeigeeilt. Ich sagte mir, dass es nur das war, und nicht mehr, während ich meinen Griff wieder lockerte. Einmal abgesehen davon, dass sie auf meine Hand blickte, schien Shauna nichts von all dem mitbekommen zu haben, aber gerade ihre stoische Miene wirkte verräterisch. Einen Moment lang sagten wir beide kein Wort, und als ich ihren Arm endgültig losließ, tat ich das sehr sanft und mit gestreckter Hand, als hätte ich eine Grenze übertreten.
»Geh und ruh dich aus, Kolarich«, sagte sie, und die schnippische Art, in der sie meinen Nachnahmen aussprach, verriet noch eine Spur mehr von dem, was vielleicht gerade in der Luft gelegen hatte. Wie gewöhnlich traf Shauna die richtige Entscheidung. Ich war in keiner guten Verfassung, weder mental noch körperlich, um irgendetwas anderes zu tun, als mich sofort nach Hause und ins Bett zu begeben.
Der Schlafmangel traf mich jetzt wie ein Keulenschlag. Womöglich wegen der Kraft der Suggestion. Vielleicht war es aber auch die nachlassende Anspannung, weil ich Shauna mein Geheimnis gebeichtet hatte und mir endlich jemand bei dieser Sache half. Wie auch immer, der Gang zum Aufzug und dann quer über die Straße zu meinem Wagen glich dem Todesmarsch von Bataan. Ich schlich durch die Schatten, mit zögerlichen, ungelenken Bewegungen. Mein Haus erreichte ich etwa um die Zeit, in der ich normalerweise zu Abend aß, um anschließend meiner üblichen Routine von Einsamkeit, schlechten Romanen und grenzdebilen Sitcoms zu verfallen. Als ich mich hinlegte, dachte ich an Pete, wie schmählich ich ihn im Stich gelassen hatte, und wie ich jemals schlafen sollte, während er einem weiteren Tag der Folter entgegensah. Aber
die Schuld, so gewaltig sie auch war, war nichts im Vergleich zur Müdigkeit. Nach wenigen Minuten versank ich in tiefen Dämmer, nur noch die Träume begleiteten mich, in denen ein unsicherer, gequälter Bruder mit Dämonen von menschlicher und unmenschlicher Gestalt kämpfte, eine Frau und ein Kind unter Wasser nach Atem rangen, ein kleines Nachbarmädchen mitten in der Nacht aus ihrem Bett gerissen wurde und sich ängstlich fragte, wohin das schreckliche Monster sie wohl verschleppen würde.
57
Ich erwachte schlagartig, und während sich in mir langsam der Eindruck verflüchtigte, auf dem elektrischen Stuhl hingerichtet zu werden, bemerkte ich, dass ich seit gestern Abend das Handy umklammert hielt, das jetzt klingelte. Ich hatte geschlafen wie ein Stein. Die ganze Nacht hatte ich mich keinen Millimeter bewegt. Und ich steckte immer noch in meinen Klamotten. Die Uhr auf dem Nachttisch zeigte halb acht morgens. Ich hatte über zehn Stunden durchgeschlafen.
»Heute ist der Tag«, begrüßte mich Smith, als ich ranging.
Noch immer benommen, tauchte ich wie aus einem dichten Nebel auf.
»Heute ist der Tag, an dem Sie die Dinge mit DePrizio in Ordnung bringen«, verkündete Smith. »Oder es ist nicht nur ein Finger, sondern eine ganze Hand.«
Ich richtete mich im Bett auf und versuchte, einen klaren
Gedanken zu fassen. »Denny wird Sie verpfeifen«, erklärte ich.
»Was Ihnen nicht recht sein kann«, entgegnete er. »Was glauben Sie, was dann mit Ihrem Bruder geschieht? Glauben Sie, wir lassen ihn am Leben?«
Ich war immer noch im Aufwachen begriffen und nicht ganz auf der Höhe meiner geistigen Fähigkeiten. »Rufen Sie mich später nochmal an«, empfahl ich. »Vielleicht kann ich Sie dann glücklich machen.«
»Tatsächlich? Sie haben darüber nachgedacht, wie Sie der Polizei die ganze Geschichte erklären wollen?«
»Ich hab so eine Vorstellung, ja.«
»Ich würde gerne mehr darüber erfahren.«
»Davon gehe ich aus.« Ich legte auf und wälzte mich aus dem Bett. Nach einer raschen Dusche zog ich mich an und fuhr Sammy im Gefängnis besuchen.
»Ich bin einverstanden mit acht.« Sammy Cutler platzte damit heraus, sobald der Sheriff Deputy uns in dem verglasten Gesprächsraum allein gelassen hatte. Seine Augen waren klar, das Kinn reckte er nach oben. Offensichtlich hatte er gründlich nachgedacht, seit wir uns das letzte Mal gesprochen hatten, und er schien mit seinem Entschluss zufrieden. »Dieser Perlini war ein mieser Kerl.
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