Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Mann im Schatten - Thriller

Der Mann im Schatten - Thriller

Titel: Der Mann im Schatten - Thriller Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heyne
Vom Netzwerk:
die Wände meines Schlafzimmers und sah mit leise gestelltem Ton fern. Die selbstquälerische Phase hatte ich bereits hinter mir. Ich spielte nicht mehr Talias Lieblings-CDs, Morrissey, Sarah McLachlan und Tracy Chapman. Ich blätterte nicht mehr stundenlang in unserem Hochzeitsalbum. Ich betrat nicht mehr so oft Emilys Kinderzimmer, das Talia in Pink und Grün gestrichen und mit Beatrix-Potter-Häschen verziert hatte, die in pastellfarbenen Landschaften herumhoppelten.
    Und ich trank auch nicht mehr, zumindest nicht, um meinen Kummer zu betäuben. Alkohol hatte bei mir ohnehin eine andere Wirkung; er verstärkte den Schmerz nur noch, setzte verdrängte Gefühle frei. Wenn man von einem Strudel nach unten gerissen wird, stellt sich der Kontrollverlust von alleine ein. Man braucht keinen Schnaps, um sich zu destabilisieren.
    Nein, das Einzige, was mich wirklich ablenkte, war billige Unterhaltung, die dämlichsten Sitcoms oder Werbesendungen, die ich in der Glotze fand; die anspruchsloseste Strandlektüre, die es zu kaufen gab. Ich litt unter extremen Gefühlsschwankungen, daher suchte ich nach der dumpfen, harmlosen Mitte.
    In mancher Hinsicht war es jetzt besser, aber insgesamt war es schlimmer. Der Tod eines geliebten Menschen ist anfangs völlig unbegreiflich, etwas zutiefst Erschreckendes, das unmöglich wirklich passiert sein kann. Aber schon bald muss man sich mit lauter profanen Dingen herumschlagen, Traueranzeigen formulieren, Menschen in Kenntnis setzen, mit dem
Friedhof telefonieren, ein Begräbnis planen. Dann umschwirren einen eine Weile alle guten Bekannten und Freunde, bringen Essen in Tupperware vorbei und hängen eine angemessene Zeit bei dir herum. Und nach ein paar Wochen geht alles wieder seinen normalen Gang, und erst dann wird dir bewusst, dass normal für dich jetzt eine völlig andere Bedeutung hat. Erst jetzt wird dir so richtig klar, wie dein Leben in Zukunft aussehen wird: Du besitzt ein Haus mit drei Schlafzimmern, zwei Bädern und einem Kinderzimmer, das eigens eingerichtet wurde für eine Tochter, die du nicht mehr hast, und du schläfst alleine in einem Bett für zwei.
    Ich dämmerte weg, während die x-te Wiederholung irgendeiner Serie lief, aufrecht im Bett sitzend, in meinen Kleidern, schätzungsweise gegen zwei Uhr morgens. Ich hatte einen Traum, den ich aber sofort vergaß, als meine Augen aufsprangen. Das Einzige, an was ich mich erinnerte, war das Geräusch, das mich geweckt hatte - Emilys Schreien, das ich so oft in der Nacht hörte, und das mit einem leisen Jammern begann, um sich zu einem durchdringenden Heulen zu steigern.
    Der Morgen graute. Ich war todmüde, konnte aber nicht mehr einschlafen. Ich wälzte mich aus dem Bett, schleppte mich ins Bad und hob gerade noch rechtzeitig den Toilettendeckel, bevor ich mich übergab. Ich hockte auf dem gekachelten Boden, schnaufte tief und machte mir sinnlose Vorwürfe. Ich erbrach mich erneut und nahm dann eine Dusche.
    Gegen neun stieg ich in meinen Wagen und fuhr zu einem Treffen mit Tommy Butcher, dem einzigen Zeugen der Verteidigung in Sammys Fall. Laut dem Protokoll, das die Polizei von seiner Aussage angefertigt hatte, war Butcher zum mutmaßlichen Tatzeitpunkt aus einer Bar namens Downey’s Pub gekommen und hatte einen Schwarzen aus Perlinis Apartmenthaus
rennen sehen. Da er es wie die meisten Leute vorzog, sich um seinen eigenen Kram zu kümmern, hatte Butcher sich zunächst nicht viel dabei gedacht.
    Erst als er dann vor drei Wochen in der Zeitung eine Notiz über den Fall las, hatte er seine Aussage bei der Polizei gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war Sammy bereits seit Monaten in Haft, und die Polizei hatte sich längst auf ihn als einzigen Verdächtigen eingeschossen. Und wenn die Cops erst einmal beschlossen, dass sie ihren Mann hatten, war der Fall für sie gestorben. Mir war klar, dass die Anklage nichts unversucht lassen würde, um Tommy Butchers Aussage anzuzweifeln und ihn, wenn möglich, persönlich zu diskreditieren.
    Da war zunächst der Umstand, dass Butcher erst fast ein Jahr nach der Tat ausgesagt hatte. Das würde manchen rätseln lassen, wieso Butcher sich so sicher sein konnte, den Flüchtenden exakt in dieser Nacht gesehen zu haben. Außerdem würde man die Zuverlässigkeit seines Erinnerungsvermögens in Zweifel ziehen, da er den ganzen Abend in einer Bar verbracht hatte.
    Aber womöglich hatte irgendein besonderes Detail dieses Ereignis für ihn unvergesslich werden lassen. Vielleicht hatte der Fliehende im

Weitere Kostenlose Bücher