Der Mann im Schatten - Thriller
das beherrschte er perfekt. Als ich über eine Stunde später endete, blätterte Joel seine Notizen durch.
»Steht wohl zu vermuten, dass Smith eines von Perlinis Opfern vertritt. Jemanden, der froh ist über Perlinis Tod, und der nicht will, dass Sammy dafür bezahlt.«
Ich nickte. »Vielleicht ein Opfer, das wir kennen, vielleicht aber auch nicht. Uns sind vier Parteien bekannt, die gegen
ihn geklagt haben. Audrey Cutler eingerechnet, macht das insgesamt fünf Opfer. Aber ganz offensichtlich gibt es weitere - etwa die vier Kinder, die hinter der Schule begraben sind. Und er ist ein Pädophiler, also war er möglicherweise ein Serientäter.«
»Fazit, es handelt sich um eins seiner Opfer oder um dessen Familie, aber wir wissen nicht, um wen. Okay.« Joel kritzelte etwas auf seinen Block. Er schien diese Art von logischem Training zu genießen. Hätte er das nicht getan, wäre er im falschen Geschäft gewesen. »Dabei stellt sich jedoch eine Frage, Jason. Wenn diese Typen so stark interessiert sind am Ausgang des Prozesses...«
»... warum melden sie sich dann erst einen Monat vor dessen Beginn? Und warum sind sie so versessen auf die Einhaltung des Termins? Ich meine, das ist doch absurd, Joel.«
»Richtig. Ganz genau. Timing. Das Timing spielt hier eine Rolle.«
Es spielte die entscheidende Rolle. Diese Kerle ließen sich alle Zeit der Welt, bis sie sich einschalteten, und dann plötzlich war Zeit der zentrale Faktor, selbst wenn Sammys Anwalt dadurch nicht genügend Zeit zur Vorbereitung blieb.
Joel sagte: »Ich frage mich...«
»... ob sie überhaupt wollen, dass er freigesprochen wird.«
Joel blickte mich an. »Außerdem frage ich mich, wann du aufhörst, meine Sätze für mich zu beenden.«
Ich lachte. »Tut mir leid, Mann. Aber ich weiß momentan kaum, wo mir der Kopf steht.«
»Kein Problem. Auf jeden Fall hast du Recht, Jason. Wenn sie schon die Verteidigung so großzügig sponsern und alles nur Erdenkliche tun, um Sammy zu helfen, warum sind sie dann bei der Zeitfrage so kleinlich?«
Das brachte mich wieder zurück auf meinen ursprünglichen Gedanken. »Ich frage mich, ob Smith die Person vertritt, die Griffin Perlini in Wirklichkeit getötet hat, und ob sie die Verteidigung in Schach halten wollen, damit keiner rausfindet, wer es ist. Sie bieten mir Hilfe an, und vielleicht ist es ihnen sogar ernst damit. Aber es ist ihnen völlig schnurz, ob Sammy den Prozess gewinnt - Hauptsache, man bringt sie nicht mit dem Mord in Verbindung. Je mehr Zeit mir zur Verfügung steht, desto mehr Gelegenheit habe ich, ihnen auf die Schliche zu kommen. Also übertragen sie mir den Fall erst in letzter Minute, und sie machen mir enge Vorgaben, damit ich nicht jeden Stein umdrehe.«
»Klingt einleuchtend.« Joel warf sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund. »Es ist okay für sie, wenn Sammy freikommt, aber ihr Hauptinteresse ist, dass sie nicht selbst auffliegen.« Er nickte mir zu. »Also, Herr Anwalt, könnte das eventuell bedeuten, Sie haben einen unschuldigen Mandanten?«
Sammy hatte mir gegenüber den Mord an Griffin Perlini nie ausdrücklich zugegeben, verriet ich Joel, aber er hatte seine Schuld angedeutet. Und ich hatte mir, wie das bei Strafverteidigern Usus ist, die Millionen-Dollar-Frage verkniffen.
»Vielleicht solltest du sie doch mal stellen«, schlug Lightner vor.
Er hatte Recht. Sammy und ich mussten endlich ein offenes Gespräch führen.
»Erzähl mir was über Smith«, forderte Lightner mich auf.
»Ich vermute, er ist Anwalt«, erwiderte ich. »So wie er redet.«
»Du meinst, er quatscht eine Menge Zeug, ohne damit irgendwas zu sagen? Er lügt dir offen ins Gesicht?«
Eigentlich war ich nicht in der Stimmung für einen kleinen Schlagabtausch, aber Lightners lockere Art hatte meine Nerven wieder etwas entspannt.
»Er wirkt recht intelligent«, sagte ich. »Also kann er zumindest kein Cop sein.«
Lightner zwinkerte mir zu. Etwas Humor tat gut angesichts der desolaten Gesamtsituation.
»Es ist seine Art sich auszudrücken«, erklärte ich. »Von Anfang an hat er Begriffe verwendet wie einen Antrag aufsetzen, einen Antrag einbringen, und ein nicht anwesender Verdächtiger. Alles Wendungen, die sonst nur Anwälte benutzen. Und er scheint solide Kenntnisse zu besitzen, wie man in einem Strafprozess die Verteidigung anlegt.«
»Okay, Smith ist also Anwalt. Das war’s?«
Im Moment war es das, ja. Im Moment hatte ich keine Ahnung, wo ich den Kerl finden sollte. Ich war noch weit von dem
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