Der Mann mit dem roten Zylinder
werfen, schimpft er innerlich auf seinen Bruder. Doch so leicht ist er nicht aus dem Konzept zu bringen. Er legt einen Arm auf Jonas’ Schulter, und zu Johannson gewandt, meint er treuherzig: „Mein Bruder hört sehr schwer.“ Als Ola das Bedauern in Johannsons Augen sieht, beugt er sich zu Jonas hinüber und brüllt ihm aus voller Lunge ins Ohr: „Wir nehmen den Fahrstuhl, Jonas.“
Jonas erschrickt derart, daß er sich verschluckt. Bevor der jedoch zu einer Erwiderung ansetzen kann, fühlt er sich von seinem Bruder schon in die Richtung des Fahrstuhls gezogen.
„Wenn du mich noch einmal so anbrüllst, schmier ich dir eine!“ faucht Jonas seinen Zwillingsbruder an, während der Fahrstuhl in die oberen Regionen schwebt.
Doch Ola bleibt keine Antwort schuldig:
„Du stehst da, als könntest du nicht bis drei zählen. Warum bist du denn überhaupt mitgegangen?“
„Angeber!“
„Feigling!“
Sie sind im sechsten Stock. Automatisch fahren die Fahrstuhltüren zurück.
Jonas und Ola betreten den Gang, der mit einem dicken Läufer belegt ist und jedes Geräusch schluckt.
„Sechshunderteins“, liest Ola die Nummer am ersten Zimmer ab.
Zwei Minuten später stehen sie vor einer Tür, neben der in goldenen Buchstaben die Nummer 611 zu lesen ist.
„Hör zu, Jonas“, flüstert Ola. „Reden tu nur ich, verstanden.“
Jonas schweigt trotzig.
„Dieser Señor Feruzza ist bestimmt der Mann mit dem roten Zylinder. Natürlich wird er es abstreiten, aber ich krieg’s schon raus.“
Das sind die letzten Worte Olas, bevor er bestimmt und hart an die Tür klopft.
Rodrigo Feruzza ist gerade dabei, ein paar Briefmarken durch die Lupe zu betrachten. Er ist allein, denn seine Frau Juana ist vor einer halben Stunde zum Friseur gegangen.
Rodrigo Feruzza hat die sechzig bereits überschritten. Sein Haar ist schlohweiß und ebenso sein dichter Vollbart.
Seine Bewegungen sind langsam, und manchmal hat es den Anschein, als würden auch seine Hände schon ein wenig zittrig sein.
Rodrigo Feruzza hat sich in einen dicken Hausmantel aus Plüsch gehüllt, denn die kühle Witterung macht ihm sehr zu schaffen. Er ist das heiße Klima Brasiliens gewohnt, und hätten ihn nicht dringende Geschäfte nach Stockholm gerufen, wäre er niemals auf die Idee gekommen, eine Reise nach Europa zu machen.
Rodrigo Feruzza hebt lauschend den Kopf.
Hat es nicht eben an die Tür geklopft? Als Ola kein Herein auf sein Klopfen hört, wiederholt er es noch einmal. Zweimal hämmert er mit den Knöcheln seiner rechten Hand an die Tür. Da endlich...
„Herein!“
Langsam öffnet Ola die Tür und schiebt seinen Bruder zuerst durch die Öffnung.
Geräuschvoll drückt er dann die Tür hinter sich ins Schloß.
„Guten Tag, Señor Feruzza“, sagt Ola und macht einen Diener. Auch Jonas murmelt einen Gruß, wobei er unablässig den alten Mann mustert. Das soll der Mann mit dem roten Zylinder sein?
Auch Ola ist für den ersten Augenblick stutzig. So alt hatte er sich den geheimnisvollen Fassadenkletterer nicht vorgestellt. Doch das will nichts besagen. Das ist alles Verstellung. Er ist eben nicht nur ein guter Kletterer, er ist auch ein großer Verwandlungskünstler und Schauspieler, denkt Ola.
Schweigend betrachtet Señor Feruzza die beiden Besucher. Er überlegt, was sie wohl hergeführt habe. Er kann sich nicht erinnern, jemanden bestellt zu haben. Und die verblüffende Ähnlichkeit der Zwillinge konstatierend, vergleicht er sie im Geist mit Dubletten von Briefmarken.
Ola, der kein Freund von langen Vorreden ist, beginnt sofort:
„Wir wissen, daß Sie der Mann mit dem roten Zylinder sind.“ Und als er Feruzzas verständnislosen Blick gewahrt, wiederholt er noch einmal herausfordernd: „Wir wissen bestimmt, daß Sie der Mann mit dem roten Zylinder sind!“
Rodrigo Feruzza erhebt sich leise ächzend und greift nach seinem Stock. Er macht einige schwerfällige Schritte nach vorn, während er Ola und Jonas wohlgefällig betrachtet.
„Wer ist denn der Mann mit dem roten Zylinder?“ fragt er nach kurzem Zögern.
„Sie waren in der Oper... auch wenn man Sie nicht erwischt hat.“ Und mit herablassender Anerkennung setzt er hinzu: „Die Sache mit der Uhr war prima.“
Dem Brasilianer scheint das Stehen doch zu anstrengend zu sein, und müde schleppt er sich zu seinem Sessel zurück. Während er sich niederläßt, winkt er die beiden zu sich heran.
Vorsichtig nähern sich Ola und Jonas. Man kann schließlich nie wissen.
„Wer ist der
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