Der Mann mit den zwei Gesichtern
ihrem Leben war ihr ein so liebenswerter Mann begegnet.
Franziska nickte, wie um sich selbst von dieser Idee zu überzeugen. So war es richtig. Sonst würde er sich womöglich durch sie verpflichtet fühlen. Nein, besser, sie ließ ihm die Wahl.
Er hatte sich im Bett umgedreht, als sie das Zimmer wieder betrat. Jetzt lag er mit dem Rücken zu ihr. Mit seinem muskulösen männlichen Rücken, der sie so lockte, sich an ihn zu kuscheln, den Arm um ihn zu schlingen und nie mehr wieder loszulassen.
Jetzt reiß dich zusammen , mahnte sie sich, hob stattdessen ihre Tasche vom Boden auf und holte Zettel und Stift heraus.
Was sollte sie schreiben, wie ihn ansprechen? Lieber Gerd? Ja, das war persönlich, aber nicht zu sehr. Sie senkte den Kulli und schrieb los:
Lieber Gerd,
die Nacht mit dir war wunderschön, aber ich musste zeitig los. Nochmals herzlichen Dank für deine Hilfe gestern. Was hätte ich ohne dich nur getan?
Wenn du willst, ruf mich an. Aber fühl dich nicht verpflichtet.
Franziska
Sollte sie noch dazuschreiben, was sie gestern Abend, bei der lauten Musik nicht hatte sagen können? Aber wie sollte sie das in ein paar knappen Worten erklären? Tut mir leid, dass ich nicht die bin, für die du mich hältst?
Nein, so konnte sie das nicht machen. Das musste sie ihm persönlich sagen, wenn sie ihn das nächste Mal sehen würde. Wenn.
Schnell schrieb sie noch ihre Telefonnummer darunter, dann legte sie den Zettel auf den Schreibtisch am Fenster. Hier würde er ihn sicher finden.
Ihre Handtasche nehmend, warf sie einen letzten wehmütigen Blick zum Bett, zu ihm. Es wäre zu schön, wenn ... Widerstrebend riss sie sich los, drehte sich um, ging zur Tür, öffnete sie. Ein Luftzug fuhr herein, riss sie ihr fast aus der Hand. Aufpassen, sonst würde sie noch an die Wand knallen und Gerd aufwecken! Eilig packte Franziska die Klinke, zog die Tür behutsam hinter sich ins Schloss. Sie war draußen.
Ein in dämmriges Licht getauchter Flur lag vor ihr. Gediegen, gepflegt, aber völlig menschenleer. Noch immer hatte sie keine Ahnung von der Uhrzeit, vermutete aber, dass es noch sehr früh sein musste. Armbanduhr und Handy waren wohl irgendwo in ihrer Tasche vergraben. Egal. Im Auto war schließlich auch eine Uhr. Sie hängte sich ihre Handtasche um und machte sich auf den Weg. Während sie die Treppen hinablief, kramte sie bereits nach ihrem Autoschlüssel.
Es war erst kurz vor fünf Uhr morgens, als sie ins Auto schlüpfte und dort auf die Uhr sah. Nun ja, dann würde sie also frühzeitig zuhause sein.
Sie war müde, als sie die Haustür aufsperrte. Ihr erster Blick im Flur galt dem Anrufbeantworter. Er blinkte. Ein Anruf. Oh, hatte er ... so schnell? Plötzlich wieder munter, stürzte sie auf das Gerät zu. Gleich würde sie seine Stimme hören. Ihr Herz trommelte wild, als sie auf den kleinen Wiedergabeknopf drückte: „Sie haben eine neue Nachricht. Nachricht eins, Freitag, acht Uhr elf.“
„Mach schnell“, fuhr sie den Apparat an. Immer diese nervige Vorrede, bis er einen Anruf ausspuckte. Aber da kam bereits das Piepsen – und eine weibliche Stimme. Franziska sank enttäuscht in sich zusammen.
„Marienklinik, Kardiologie, Büro Professor Schultheiß.“ Die Stimme klang sachlich kühl und knapp. Das konnte nichts Gutes bedeuten. „Sie hatten sich bei uns um die Assistenzarztstelle beworben. Leider hat sich der Herr Professor für jemand anderen entschieden. Sie bekommen Ihre Unterlagen in den nächsten Tagen zurück.“
Pieps.
„Ende der Nachrichten“, verkündete der Anrufbeantworter und schaltete sich wieder ab.
Keine Nachricht von ihm. So schnell konnte sie natürlich nicht mit ihm rechnen. Insgeheim gehofft hatte sie allerdings schon, dass er gleich nach dem Aufwachen anrufen würde, um sich mit ihr zu verabreden. Aber vielleicht schlief er ja noch. Franziska lächelte bei dem Gedanken, wie er da im Bett gelegen hatte. Entspannt ausgestreckt, warm und weich und fest und – einfach wunderbar.
Doch dann rief sie sich energisch zur Ordnung. Sie hatte eine Absage bekommen. Von ihrem Wunscharbeitsplatz. Eigentlich sollte sie jetzt enttäuscht sein. Am Boden.
Aber das war sie nicht. Dann würde es halt nicht die Marienklinik werden. Egal, egal. Es gab Wichtigeres im Leben als die begehrte Assistentenstelle bei einem berühmten Kardiologen. Warum sollte sie schon bei dem Erbsenzähler Professor Schultheiß arbeiten wollen, der ihr jede zu spät gekommene Sekunde penibel
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