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Der Mann ohne Vergangenheit

Der Mann ohne Vergangenheit

Titel: Der Mann ohne Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles L Harness
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zwei, Affen vier, sechsjährige Kinder zehn und der Durchschnittsmensch elf. Zählen Sie mit. Hier ist die erste.“
    Auf dem schwarzen Schirm wurde ein großer weißer Kreis sichtbar und daneben eine langgestreckte Ellipse. Das war ziemlich deutlich. Alar wartete auf das nächste Beispiel.
    Beim zweiten Diapositiv runzelte Shey die Stirn, nahm es aus dem Projektor, hielt es zum Licht des Würfelschirmes empor, dann steckte er es wieder hinein. Beim dritten Dia begann er an den Lippen zu nagen. Er machte jedoch weiter. Beim zehnten schwitzte er ausgiebig und leckte sich den Schweiß aus den Mundwinkeln.
    Der Dieb fuhr fort, zu jedem Dia unverbindliche Bemerkungen zu machen. Er fühlte nicht das geringste Mitleid mit Shey, der nicht wissen konnte, daß es vom zweiten Diapositiv an keine Ellipsen mehr gab, sondern nur Paare identischer Kreise. Jede Ellipse war von einer Projektion aus Alars Augen ausgelöscht worden, und an ihre Stelle trat ein Kreis.
    Shey traf keine Anstalten, das elfte Dia in den Projektor einzuführen. Er sagte vielmehr: „Wollen wir nicht hier aufhören? Ich glaube, das allgemeine Prinzip ist Ihnen klar …“
    Alar nickte.
    „Sehr interessant. Was haben Sie sonst noch?“
    Sein Gastgeber zögerte und fummelte anscheinend am Projektorgehäuse herum. Endlich kicherte er glasig. „Ich habe ein paar Rohrschach-Tests. Sie sind mehr oder weniger konventionalisiert, doch lassen sie sich zur Entdeckung von Psychosen im Anfangsstadium verwenden.“
    „Wenn es Sie ermüdet …“ begann Alar mit teuflischem Feingefühl.
    „Nicht im geringsten.“
    Der Dieb lächelte grimmig.
    Der Würfelschirm hellte sich wieder auf, und der rundliche Shey hielt in seinem Schein ein Dia empor, das er ausführlich betrachtete. Dann ließ er es in den Projektor gleiten.
    Er erklärte: „Ein normaler Mensch sieht auf dem ersten Dia die symmetrische Silhouette von zwei Ballettänzern oder zwei hüpfenden Kindern, manchmal auch zwei spielenden Hunde. Psychopathen sehen natürlich etwas, was sie als furchterregend oder makaber empfinden, etwa eine Tarantel, eine Dämonenfratze oder einen …“
    Alar hatte das Bild geschickt in einen grinsenden Totenkopf verwandelt. „Sieht wirklich einem Tanzpärchen täuschend ähnlich, nicht wahr?“ bemerkte er.
    Shey zog sein Taschentuch hervor und wischte sich das Gesicht ab. Das zweite Dia führte er kommentarlos ein, doch konnte Alar ein Klirren hören, als er es mit zitternden Fingern in den Projektor fallen ließ.
    „Sieht nach zwei Bäumen aus“, bemerkte der Dieb sinnierend, „oder vielleicht nach zwei Federn oder auch zwei Rinnsalen, die auf einer Wiese zusammentreffen. Was würde ein Psychopath sehen?“
    Shey stand stumm und bewegungslos da, anscheinend mehr tot als lebendig. Er schien nichts in dem Raum wahrzunehmen als das Bild auf dem Schirm, und Alar spürte, daß es der Mann mit fasziniertem Schrecken anstarrte. Er hätte viel dafür gegeben, einen Blick auf das Geschöpf zu werfen, dessen abwegigen Geist er zerstörte, aber er hielt es für besser, mit der Umwandlung des Bildes fortzufahren.
    „Was würde ein Verrückter sehen?“ wiederholte er ruhig.
    Sheys Flüstern war unverständlich.
    „Ein Paar weißer Arme.“
    Alar griff hinüber, schaltete Schirm und Projektor aus und schlich sich leise aus dem verdunkelten Zimmer. Sein Gastgeber rührte sich nicht.
    Der Dieb hatte noch keine zwei Schritte den Gang hinunter gemacht, als durch die geschlossene Tür ein gedämpfter Kicherschwall drang – dann noch einer und noch einer –, schließlich kam das Kichern so ununterbrochen, daß es zu einem schallenden Paroxysmus verschmolz.
    Als er, auf seine eigene Kabine zusteuernd, um die Ecke bog, konnte er es noch immer hören. Er strich sich lächelnd über den Spitzbart.
    Stationschef Miles und Florez gingen hitzig streitend an ihm vorbei, ohne seine höfliche Verbeugung oder auch nur seine Anwesenheit zur Kenntnis zu nehmen. Er sah ihnen nachdenklich nach, bis sie um die Ecke verschwanden. Sie befanden sich in einem idealen Geisteszustand – sie waren verrückt, ohne es zu wissen. Ihr unumstößlicher Glaube an die unausweichliche Vernichtung umgab sie mit einer Aura zielbewußter geistiger Gesundheit.
    Ohne diese Überzeugung wäre ihr geistiger Verfall möglicherweise rasch und vollständig. Unzweifelhaft würden sie lieber sterben, als die Station am Ende ihrer Schicht lebend zu verlassen.
    Er fragte sich, ob Shey eine ebenso dramatische Anpassung an seinen

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