Der Mann von Nebenan
bin doch nicht blöd!« maulte Rita.
»So, und jetzt noch mal die Namen. Wie heißt du?«
»Melanie.«
»Und du?« Sie fixierte Kate.
»Marlene«.
»Inge?«
»Michaela.«
»Richtig. Und ich heiße Martina. Alles klar?«
»Wer soll sich das bloß alles merken?« fragte Inge.
»Niemand. Wenn der Typ verwirrt ist, um so besser. Hauptsache, er erfährt nicht unsere richtigen Namen.«
Das »Laternchen« gehörte zu den Lokalen, in denen Rita früher verkehrt hatte. Neben dem Eingang befand sich ein Schaufenster, in dem vor einem verblaßten Samtvorhang ein Gummibaum aus Plastik sein Dasein fristete, eingerahmt von Fotos nicht mehr ganz junger Damen, die als Cowgirl, Ibiza-Schönheit oder Hula-Hula-Tänzerinnen verkleidet waren. Über der Tür prangten flimmernde Leuchtbuchstaben, daneben die Laterne, der das Lokal seinen Namen verdankte.
»Da sollen wir rein?« fragte Inge und sah die anderen entsetzt an. »Da werden wir doch sofort ausgeraubt oder vergewaltigt. Oder beides.«
»Ein kleines Opfer mußt du schon bringen, wenn du Willi loshaben willst«, feixte Rita.
»Wir sind zu viert – uns tut schon keiner was«, entschied Kate und öffnete beherzt die Tür.
Eine Wolke aus Qualm und menschlichen Ausdünstungen schlug ihnen entgegen, vermischt mit den Klängen von »We had joy, we had fun …«.
Das Lokal war nicht besonders groß; den meisten Raum nahm die Bar ein. Im Hintergrund war eine kleine Bühne, davor die Tanzfläche, eingerahmt von ein paar abgeschabten Ledersesseln. An der Wand zwei Spielautomaten. Eine silberne Disco-Kugel an der Decke versprühte Lichblitze.
Der Laden war längst nicht so voll, wie die schlechte Luft vermuten ließ. Ein paar Männer lungerten am Tresen herum, zwei Mädchen drehten sich auf der Tanzfläche. In einer Ecke knutschte ein Pärchen.
»Anheimelnd«, kommentierte Malise naserümpfend.
Die Barfrau, eine rassige Türkin in schwarzem Leder, warf ihnen einen überraschten Blick zu.
»Bitte?«
»Apfelsaft«, bestellte Rita.
»Kindergarten is nebenan«, kam es zurück.
»Dann Cola«.
»Mit?«
»Ohne.«
Vier Flaschen knallten auf den Tresen.
»Keine Gläser?« fragte Kate erstaunt.
»Kein Sprit, keine Gläser.«
Es erschien nicht ratsam, sich mit der Frau anzulegen. Sie nippten an ihren Flaschen und sahen sich im Lokal um.
»Wie in ’nem schlechten Film«, flüsterte Inge.
»Wie soll er denn aussehen?« wollte Kate von Rita wissen.
»Mittelgroß, dunkelblonde Haare, Tätowierung am rechten Handgelenk.«
»Wie alt?«
»Ungefähr dreißig.«
Das war eine Beschreibung, die auf vier der fünf anwesenden Männer zutraf, sah man von der Tätowierung ab.
»Und was machen wir jetzt?« erkundigte sich Kate.
»Fragen wir jeden von denen, wie er heißt, oder was?«
»Quatsch, wir warten einfach ab. Der meldet sich schon«, sagte Rita.
»Ich geh’ spielen«, verkündete Inge und verschwand Richtung Automat.
»Warte, ich komme mit.« Rita folgte ihr.
»Wie die Kinder«, sagte Malise, und Kate nickte nachdenklich.
Sie fragte sich, ob es eine gute Idee gewesen war, Rita die Sache anzuvertrauen. Aber die war nun mal die einzige von ihnen mit Verbindungen in der Unterwelt.
Kate beobachtete die Barfrau, vor der die Gäste großen Respekt zu haben schienen. Sie behandelte alle gleichermaßen von oben herab, mit einem Selbstbewußtsein, das an Hochmut grenzte. Sie strahlte eine Sicherheit aus, um die Kate sie plötzlich beneidete.
»Schau mal«, sagte Malise und deutete auf die zwei tanzenden Mädchen. Sie waren eng umschlungen und bewegten sich selbstvergessen, die Gesichter aneinandergelegt. Ein dicklicher Typ versuchte, sich dazwischenzuschieben. Die Mädchen wehrten ihn ab. Im gleichen Moment schoß die Barfrau hinter ihrem Tresen hervor und komplimentierte ihn von der Tanzfläche. Schmollend zog er ab.
»Starkes Weib«, sagte Kate bewundernd.
Nach einer halben Stunde betrat eine Gruppe junger Männer das Lokal. Sie hatten hohe Wangenknochen und unterhielten sich in einer fremden Sprache. Kate stieß Malise an.
»Der eine hat eine Tätowierung!«
»Bist du sicher?«
»Ja, ganz bestimmt.«
Malise kniff die Augen zusammen. Der junge Kerl ging direkt an ihr vorbei, sie erkannte eine grüne Schlange, die sich um sein Handgelenk wand.
»Hübsch«, feixte Malise.
Der Mann setzte sich mit seinen Freunden an einen der Tische und sah sich suchend um. Er entdeckte Rita, die betont beiläufig zur Tanzfläche schlenderte. Nach einer Weile stand er auf und folgte
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