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Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel

Titel: Der Mann,der durch das Jahrhundert fiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Moritz Rinke
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gegenüber an der alten Eiche festgebunden, um gemeinsam für ein Gleichgewicht zu sorgen und einander im Moor zu stabilisieren, Greta Kück mit ihrem angedeuteten Blech Butterkuchen, Marie, nach wie vor eins der kunstvollsten, lebendigsten und gelungensten Werke von Pauls Großvater.
    Auch Otto von Bismarck, Auguste Rodin, Albert Einstein, Rilke, Ringo Starr, der Rote Franz, Heinz Rühmann und Heinrich Schliemann sowie Thomas Mann aus Lübeck hatten Schiffsseile um Kopf oder Brust und wurden von der alten Eiche gehalten beziehungsweise stabilisierten sich ihrerseits selbst. Es sah beeindruckend aus: lauter historische Gestalten, die mit Seilen und einer Eiche verbunden waren: Der große Schlachtenlenker vis-a-vis vom großen Boxmeister, der große Maler gegenüber vom großen Reformator, Troja gegenüber von Lübeck und den Buddenbrooks oder das Genie mit seiner Relativitätstheorie gegenüber vom Roten Franz mit seinen tausendsiebenhundert Jahre konservierten Schamhaaren, dazu Willy Brandt mit dem irren Nietzsche, Marie mit Pauls Großmutter - alle festgebunden mit straffen Schiffsseilen an einer Eiche, die zwar unter erheblicher Spannung stand, aber Nullkücks System war perfekt.
    »Tolle Technik!«, rief Paul und nickte anerkennend mit dem Kopf, während Nullkück verlegen und stolz die Spannung der Seile überprüfte.
    Pauls Handy klingelte.
    »Warum antwortest du nicht?«, fragte Christina.
    »Ich habe viel zu tun«, erklärte er. »Ich wollte dir Blumen schicken, das ist schöner als SMS. Wie war dein erster Tag?«
    »Genial. Ich beschäftige mich jetzt mit springenden Genen«, rief sie durch das Telefon. »Das sind DNA-Abschnitte im Genom, das wurde beim Indianermais entdeckt! Wann kommst du mich besuchen?«
    »Warum schreist du so?«, antwortete Paul.
    »Ich bin mit Kollegen auf der Rambla«, sagte sie, genauso laut, und Paul hätte gerne gefragt, warum sie schon mit Kollegen unterwegs war, wenn sie erst vor zwei Tagen angefangen hatte.
    »Felipe schlägt mir vor, meine Arbeit über die springenden Gene im Schlauchpilz zu schreiben!«
    »Aha. Und wer ist Felipe?« Sie klang so lebensfroh, dachte Paul. »Sag mal, wolltest du nicht über unsere Rosskastanie forschen?«, er überlegte, ob er auch fragen sollte, warum sie eigentlich »LG« geschrieben hatte mit so einer plötzlichen Abkürzungskühle?
    »Felipe ist der Assistent von Dr. Sanchez und er meinte, dass das nichts mit der Gegenwart zu tun hätte!«, antwortete sie.
    »Ich versteh kein Wort! Was hat nichts mit der Gegenwart zu tun?« Paul wurde wütend.
    »Rosskastanien!«, schrie Christina und versuchte ihr neues Thema anschaulicher zu machen: »Ich soll jetzt springende Gene untersuchen, die von einem Schlauchpilz auf einen Schimmelpilz überspringen und sich dann mit ihren eigenen Proteinen stabil kodieren, obwohl sie sich im Erbgut eines anderen Pilzes befinden.«
    Paul wollte etwas Persönliches sagen, aber er konnte es unmöglich brüllen, damit Christina es auf der Rambla in Barcelona begriff.
    »Bist du noch dran?«
    »Ja«, sagte Paul.
    »Felipe hat Gene von Zuckerrüben ins Genom von Fliegen installiert, er will über transgene Fliegen habilitieren und schlägt mir vor, wie es wäre, wenn wir ...«
    »Du, ich befinde mich gerade zu Hause im Moor und muss mich um die Kücks und meine Heimat kümmern, lass uns ein anderes Mal über eure Scheißfliegen reden!«
    Christina sagte nichts mehr. Sie schwieg. Paul hörte nur das Rauschen von Barcelona.
    »Scheißfliegen nehme ich natürlich zurück«, versuchte er sich zu entschuldigen. »Ich finde es interessant, das musst du dann mal genauer erklären, wie da die Gene so springen, aber ich stehe hier auch vor großen Problemen, du hättest auch mal fragen können, wo ich gerade bin. Mein Erbe sinkt ab! Man muss jetzt schnell einen Rettungsplan entwickeln, ich melde mich. - Okay?«
    Er hatte noch eine kleine Pause vor der Verabschiedung gemacht, aber sie fragte nicht nach. Neben ihren neuen, wichtigen Aufgaben in Barcelona hatte er mit seinen Sorgen im Moor wohl keinen Platz, dachte Paul. Wann kommst du?- Als ob er in seinem Leben alles stehen und liegen lassen und sich ihren Plänen und ihren Genen einfach so anschließen sollte!
    Nullkück hatte das Telefonat in Bruchstücken verfolgt und sah Paul mit großen Augen an, vermutlich war es das erste Beziehungsgespräch, das er seit dem Tod von Pauls Großeltern miterleben konnte.
    »Das war meine Freundin«, sagte Paul. »Die kennt dich auch, ich habe

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