Der Matarese-Bund
sind fertig. Die Namen, die Sie haben, können Ihnen vielleicht helfen, aber das sind nur die Erben. Halten Sie Ausschau nach jenem, dessen Stimme grausamer ist als der Wind. Ich habe sie gehört! Finden Sie ihn. Der Hirtenjunge. Er ist es!«
17
Sie rannten am Waldrand über die Wiese und kletterten an die höchste Stelle des Kammes. Die Schatten des Osthanges boten ihnen Sichtschutz. Es hatte ein paar Sekund en gegeben, in denen man sie hätte entdecken können; sie waren darauf vorbereitet gewesen, aber es war nicht dazu gekommen. Die Männer auf dem gegenüberliegenden Hügelkamm waren von einem bellenden Hund abgelenkt und konnten sich nicht entscheiden, ob sie auf ihn schießen sollten oder nicht. Sie taten es nicht, denn ein Pfiff rief den Hund zurück, ehe sie sich entschließen konnten. Uccello lag jetzt neben Antonia im Gras und sein Atem ging ebenso schnell wie der ihre.
Auf dem anderen Hügelkamm waren vier Männer – wie es auf dem gelben Papierfetzen in meiner Tasche vier Namen gab, dachte Scofield. Er wünschte, daß es ebenso leicht sein möge, sie zu finden, in die Falle zu locken, wie es leicht gewesen wäre, die vier Männer in die Falle zu locken und zu erledigen, die jetzt ins Tal hinuntereilten. Aber die vier Männer auf der Liste waren nur der Anfang.
Da galt es, einen Hirtenjungen zu finden. »Eine Stimme, grausamer als der Wind«… Die Stimme eines Kindes, die eine alte Frau nach Jahrzehnten erkannt hatte… und die jetzt aus der Kehle eines sehr, sehr alten Mannes kommen mußte.
Ich habe die Worte gehört, und es war, als hätte die Zeit keine Bedeutung…
Was waren jene Worte? Wer war jener Mann? Der wahre Abkömmling von Guillaume de Matarese… Ein alter Mann, der einen Satz aussprach, der siebzig Jahre von der Erinnerung einer blinden Frau in den Bergen Korsikas abschälte. In welcher Sprache? Es mußte Französisch oder Italienisch sein; eine andere Sprache verstand sie nicht.
Sie mußten noch einmal mit ihr sprechen; sie mußten viel mehr wissen. Sie waren noch nicht mit Sophia Pastorine fertig.
Bray sah zu, wie die vier Korsen sich dem Haus näherten, zwei, die ihnen Feuerschutz gaben, und zwei, die auf die Tür zugingen, ebenfalls mit gezogenen Waffen. Die Männer an der Türe blieben einen Augenblick stehen; dann hob der Linke den Stiefel und trat damit gegen das Holz, ließ die Türe nach innen zersplittern.
Schweigen.
Zwei Rufe waren zu hören, Fragen, die in ungehaltenem Ton gestellt wurden. Die Männer außen rannten um das Haus und gingen hinein. Wieder waren Rufe zu hören… und das unverkennbare Geräusch von Schlägen.
Antonia wollte aufstehen, ihr Gesicht war vor Wut verzerrt. Taleniekov zog sie runter. Ihre Halsmuskeln waren angespannt; sie würde jeden Augenblick losschreien. Scofield hatte keine Wahl. Er preßte die Hand über ihren Mund, grub die Finger in ihre Wangen; aus dem Schrei wurden ein paar halb erstickte Hustenlaute.
»Ruhig!« flüsterte Bray. »Wenn die Sie hören, werden sie die alte Frau dazu benützen, Sie hinunterzuholen!«
»Das wäre viel schlimmer für sie«, sagte Wassili, »und für Sie. Sie würden ihren Schmerz hören und Sie holen.«
Antonias Augen gingen auf und zu; sie nickte. Scofield lockerte seinen Griff, ließ sie aber nicht los. Sie flüsterte durch seine Hand. »Die haben sie geschlagen! Eine blinde Frau haben sie geschlagen!«
»Sie haben Angst«, sagte Taleniekov. »Mehr Angst, als Sie sich vorstellen können. Ohne ihr Land haben sie nichts.«
Die Finger des Mädchens faßten Brays Handgelenk. »Was meinen Sie damit?«
»Nicht jetzt!« befahl Scofield. »Dort unten stimmt etwas nicht. Die bleiben zu lange in dem Haus.«
»Vielleicht haben sie etwas gefunden«, stimmte der KGB-Mann ihm zu.
»Oder sie sagt ihnen etwas. Oh, Herrgott, das darf sie nicht!«
»Was denken Sie?« fragte Taleniekov.
»Sie hat gesagt, wir seien fertig. Das sind wir nicht. Aber sie wird dafür sorgen, daß es so ist! Sie werden unsere Fußabdrücke auf dem Boden sehen: Wir sind über feuchtes Land gegangen; sie kann nicht ableugnen, daß wir da waren. So wie die hört, weiß sie, in welche Richtung wir gegangen sind. Sie wird sie in eine andere Richtung schicken.«
»Das ist gut«, sagte der Russe.
»Verdammt, die werden sie töten!«
Taleniekov deutete mit einer abrupten Handbewegung auf das Haus unten im Tal. »Sie haben recht«, sagte er. »Wenn sie ihr glauben – und das werden sie –, können sie sie nicht leben lassen. Ihr Leben
Weitere Kostenlose Bücher