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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Ihnen schon deutlich genug sagen.«
    Philip merkte, dass sie ihm in ihrer ungeschickten Art ihre Hilfe anbot.
    »Dann also auf morgen. Aber ich warne Sie. Sie werden keine Minute Ruhe vor mir haben.«
    »Mir egal«, antwortete sie.
    Philip trat auf die Straße und überlegte, was er bis zum Abendessen mit sich anfangen sollte. Er brannte darauf, irgendetwas Charakteristisches zu tun. Absinth! Natürlich. Er schlenderte bis zum Bahnhof, setzte sich vor ein Café und bestellte das Getränk. Er trank es mit Widerwillen und Befriedigung. Der Geschmack war abscheulich, aber die moralische Wirkung war großartig. Er fühlte sich jeder Zoll ein Künstler, und da er auf leeren Magen trank, geriet er bald in sehr gehobene Stimmung. Er betrachtete die Vorübergehenden und empfand sie alle als Brüder. Er war glücklich. Als er zu Gravier kam, saß Clutton an einem vollbesetzten Tisch, rief ihn aber sofort herbei, als er ihn erblickte. Man machte ihm Platz. Das Essen war einfach: ein Teller Suppe, ein Fleischgericht, Obst, Käse und eine halbe Flasche Wein; aber Philip achtete nicht darauf. Er sah sich die Männer an, die mit ihm am Tisch saßen. Flanagan war wieder da; er war Amerikaner, ein kleiner stupsnasiger junger Mensch mit fröhlichem Gesicht und lachendem Mund. Er trug einen kühn gemusterten Rock, einen blauen Schal um den Hals und eine seltsam geformte Tweedmütze. Zu jener Zeit herrschte der Impressionismus im Quartier Latin, aber sein Sieg über die älteren Schulen war noch ziemlich neu. Noch wurden Carolus Duran, Bouguereau und ihresgleichen gegen Manet, Monet und Degas ausgespielt. Diese Letzteren zu schätzen galt noch als Zeichen der Gnade. Whistler spielte eine wichtige Rolle für die Engländer, und die Kenner sammelten japanische Drucke. Die alten Meister wurden von neuen Gesichtspunkten aus beurteilt. Die Hochachtung, die Raffael jahrhundertelang genossen hatte, erntete bei den weisen jungen Männern nur Spott. Alle seine Werke würden sie geben für Velázquez’ Kopf von Philipp IV. in der National Gallery. Als Philip bei Gravier erschien, war eine stürmische Kunstdiskussion im Gange. Lawson, den er schon mittags kennengelernt hatte, saß ihm gegenüber. Er war ein mageres Bürschchen mit sommersprossigem Gesicht und roten Haaren. Er hatte sehr leuchtende grüne Augen. Als sich Philip hinsetzte, heftete er sie auf ihn und bemerkte unvermittelt:
    »Raffael war nur dann zu ertragen, wenn er Peruginos oder Pinturicchios malte; wenn er Raffaels malte, war er« – mit einem geringschätzigen Achselzucken – »eben nur Raffael.«
    Lawson sprach so aggressiv, dass Philip ganz bestürzt war, doch brauchte er nicht zu antworten, weil Flanagan ungeduldig dazwischenfuhr:
    »Zum Teufel mit der ganzen Kunst«, schrie er. »Wir wollen uns betrinken.«
    »Du hast dich doch erst gestern betrunken, Flanagan«, sagte Lawson.
    »Das war nichts gegen das, was ich heute vorhabe. Da ist man in Paris und spricht von früh bis spät von nichts anderem als von Kunst!« Er sprach mit breitem amerikanischem Akzent. »Ach, das Leben ist großartig.« Er sammelte sich und hieb mit der Faust auf den Tisch. »Zum Teufel mit der Kunst!«
    »Du sagst es nicht nur, sondern du sagst es ermüdend oft«, bemerkte Clutton trocken.
    Noch ein dritter Amerikaner saß mit am Tisch. Er war angetan wie jene großartigen Burschen, die Philip am Nachmittag im Luxembourg bewundert hatte. Er hatte ein schönes Gesicht, schmal und asketisch, mit dunklen Augen; seine phantastische Tracht trug er mit der verwegenen Nonchalance eines Seeräubers. Er hatte eine große Menge dunklen Haares, das ihm ständig in die Augen fiel, und seine häufigste Geste war, den Kopf dramatisch zurückzuwerfen, um irgendeine lange Strähne beiseitezuschütteln. Er fing an, von der Olympia von Manet zu reden, die damals im Luxembourg hing.
    »Ich habe heute eine Stunde davorgestanden, und ich kann euch sagen, es ist kein gutes Bild.«
    Lawson legte Messer und Gabel hin. Seine grünen Augen sprühten Feuer, er rang nach Atem vor Wut; aber er zwang sich zur Ruhe.
    »Die Ansicht des ungelernten Wilden zu hören ist immer sehr interessant«, sagte er. »Willst du uns verraten, warum es kein gutes Bild ist?«
    Ehe der Amerikaner antworten konnte, mischte sich heftig ein anderer ein:
    »Hast du denn keine Augen im Kopf? Siehst du nicht, wie das Fleisch gemalt ist?«
    »Das meine ich nicht. Ich gebe zu, die rechte Brust ist ganz gut gemalt.«
    »Zum Henker mit deiner rechten

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