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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Sie eben erst aufgestanden?«
    »Es war so herrliches Wetter; da wollte ich noch ein bisschen im Bett liegen bleiben und mir ausmalen, wie schön es draußen sein muss.«
    Philip lächelte; aber Miss Price nahm die Bemerkung ernst.
    »Warum sind Sie dann nicht aufgestanden und spazieren gegangen?«
    »Der Humorist hat es nicht leicht im Leben«, sagte der junge Mann, ohne eine Miene zu verziehen.
    Er schien keine rechte Lust zum Arbeiten zu haben. Prüfend betrachtete er seine Leinwand; er malte in Öl und hatte am Vortag das Modell skizziert. Er wandte sich Philip zu.
    »Sind Sie eben erst von England herübergekommen?«
    »Ja.«
    »Wie haben Sie die Armitrano-Schule ausfindig gemacht?«
    »Es war die einzige, die man mir empfohlen hatte.«
    »Ich hoffe, Sie machen sich nicht die Illusion, hier auch nur das Geringste zu lernen, womit Sie etwas anfangen können.«
    »Es ist die beste Schule in Paris«, sagte Miss Price. »Die einzige, an der die Kunst ernst genommen wird.«
    »Soll denn die Kunst ernst genommen werden?«, fragte der junge Mann, und da Miss Price nur mit einem spöttischen Achselzucken antwortete, fügte er hinzu: »Alle Schulen sind schlecht. Sie sind rettungslos akademisch. Diese ist vielleicht weniger schädlich als die anderen, weil die Lehrer weniger können als anderswo; weil man einfach überhaupt nichts lernt.«
    »Ja, aber warum kommen Sie dann her?«, unterbrach ihn Philip.
    »Ich sehe den richtigen Weg, aber ich gehe ihn nicht. Wir Menschen sind nun einmal so, nicht wahr, Miss Price?«
    »Darf ich Sie bitten, mich gefälligst aus dem Spiel zu lassen, Mr. Clutton«, gab Miss Price schroff zurück.
    »Die einzige Art, malen zu lernen«, fuhr er unerschüttert fort, »ist, sich ein Atelier zu mieten, ein Modell zu nehmen und die Sache allein auszukämpfen.«
    »Das kann man doch leicht tun«, sagte Philip.
    »Man braucht nur Geld dazu«, entgegnete Clutton.
    Er fing an zu malen, und Philip betrachtete ihn aus den Augenwinkeln. Er war groß und entsetzlich mager; seine riesigen Knochen stachen förmlich aus seinem Körper hervor; seine Ellbogen waren so spitz, dass man meinte, sie müssten die Ärmel seines schäbigen Rockes durchbohren. Seine Hosen waren ausgefranst, und jeder seiner Stiefel trug einen plumpen Flicken. Miss Price stand auf und ging zu Philip hinüber.
    »Wenn Mr.   Clutton einen Augenblick lang den Mund halten will, werde ich Ihnen ein wenig helfen.«
    »Miss Price mag mich nicht, weil ich Humor habe«, sagte Clutton und blickte sinnend auf seine Leinwand, »aber sie verabscheut mich, weil ich genial bin.«
    Er sprach mit ernster Miene, und seine kolossale, unförmige Nase machte alles, was er sagte, sehr komisch. Philip musste lachen, aber Miss Price wurde dunkelrot vor Ärger.
    »Sie sind der einzige Mensch, der Sie genial findet.«
    »Und auch der einzige, an dessen Meinung mir etwas liegt.«
    Miss Price fing an, Philips Zeichnung zu kritisieren. Sie sprach wortgewandt von Anatomie und Aufbau, Flächen und Linien und vielem anderen, was Philip nicht verstand. Sie war seit langer Zeit in der Schule und kannte genau die Einzelheiten, auf welche die Lehrer Wert legten, aber obwohl sie Philip zeigen konnte, was an seiner Arbeit falsch war, war sie nicht imstande, ihm zu sagen, wie er es korrigieren sollte.
    »Es ist furchtbar freundlich von Ihnen, sich so viel Mühe zu geben«, sagte Philip.
    »Aber das ist doch selbstverständlich«, antwortete sie, verlegen errötend. »Mir hat man auch geholfen, als ich hierherkam. Das würde ich für jeden tun.«
    »Miss Price will Ihnen damit zu verstehen geben, dass sie Ihnen aus Pflichtgefühl behilflich ist und nicht etwa wegen Ihrer persönlichen Reize«, erläuterte Clutton.
    Miss Price warf ihm einen wütenden Blick zu und kehrte an ihre Staffelei zurück. Die Uhr schlug zwölf, und das Modell stieg mit einem Seufzer der Erleichterung vom Podium herab.
    Miss Price packte ihre Sachen zusammen.
    »Einige von uns essen bei Gravier«, sagte sie zu Philip, mit einem Blick auf Clutton. »Ich selbst gehe immer nach Hause.«
    »Kommen Sie mit mir, ich bringe Sie zu Gravier«, sagte Clutton.
    Philip dankte ihm und machte sich zum Gehen bereit.
    Als er hinausging, fragte ihn Mrs.   Otter, wie er vorwärtsgekommen wäre.
    »Hat Fanny Price Ihnen geholfen?«, fragte sie. »Ich habe Ihnen den Platz neben ihr gegeben, weil ich weiß, dass sie das gut kann. Sie ist ein verdrießliches, boshaftes Mädchen, und sie kann überhaupt nicht zeichnen,

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