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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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Maler?«
    »Nein, noch nicht, er malt genauso wie Pissarro. Er hat sich noch nicht gefunden, aber er besitzt sehr viel Farbsinn und eine dekorative Begabung. Aber darauf kommt es nicht an. Das Ausschlaggebende ist das Gefühl, und das hat er. Er hat sich gegenüber seiner Frau und seinen Kindern benommen wie ein Schwein; er benimmt sich immer wie ein Schwein. Es ist schauderhaft, wie er die Leute behandelt, die ihm geholfen haben – mehr als einmal hat man ihn aus purer Herzensgüte vor dem Verhungern gerettet –, aber er ist ein großer Künstler.«
    Philip grübelte über diesen Menschen nach, der bereit war, alles zu opfern, Bequemlichkeit, Heim, Geld, Liebe, Ehre, Pflicht, um auf einem Stück Leinwand die Empfindungen festzuhalten, die die Welt in ihm wachrief. Es war großartig, und doch traute er sich diesen Mut nicht zu.
    Bei dem Gedanken an Cronshaw fiel ihm ein, dass er ihn seit einer Woche nicht gesehen hatte, und nachdem Clutton gegangen war, begab er sich in das Café, in dem der Schriftsteller allabendlich war. Während der ersten Monate seines Pariser Aufenthaltes hatte Philip jedes Wort, das Cronshaw sprach, wie eine Weisheit der Bibel hingenommen, allmählich aber verlor er die Geduld angesichts dieser Theorien, die sich niemals in Taten umsetzten. Cronshaws dünnes Gedichtbändchen schien ihm keine ausreichende Rechtfertigung für sein erbärmliches Leben. Philip war nicht imstande, sich über die Maßstäbe des Mittelstandes, aus dem er stammte, hinwegzusetzen; und die Hungerleiderei, die Schreibereien, zu denen Cronshaw sich bereit erklärte, um sich über Wasser zu halten, die Eintönigkeit seines Daseins zwischen einer dreckigen Dachkammer und einem Caféhaustisch – das alles ging gegen sein Gefühl für Anstand und Ehrbarkeit. Cronshaw war scharfsinnig genug, um zu merken, dass der junge Mann nicht einverstanden mit ihm war, und griff seine Philisterei mit einer Ironie an, die manchmal spielerisch, oft aber sehr scharf war.
    »Sie sind ein Kaufmann«, sagte er zu ihm. »Sie wollen Ihr Leben in soliden Wertpapieren anlegen, damit es Ihnen sichere drei Prozent einbringt. Ich bin ein Verschwender und lebe vom Kapital. Mit dem letzten Herzschlag werde ich meinen letzten Penny ausgegeben haben.«
    Die Metapher ärgerte Philip, weil sie den Sprecher in ein romantisches Licht tauchte, während sie seinen eigenen Standpunkt herabsetzte, für den sicherlich mehr sprach, als er im Augenblick anzuführen imstande war.
    Aber an diesem Abend hatte Philip in seiner Unschlüssigkeit das Bedürfnis, sich mit jemandem auszusprechen. Zum Glück war es schon etwas später, und Cronshaws Tellerstapel ließ darauf schließen, dass er zu einer unabhängigen Meinung imstande war.
    »Würden Sie mir einen Rat geben?«, fragte er unvermittelt.
    »Sie haben doch nicht etwa die Absicht, ihn zu befolgen?«
    Philip zuckte ungeduldig die Achseln.
    »Ich glaube nicht, dass ich als Maler jemals etwas leisten werde. Ich sehe keinen Sinn darin, immer zweitrangig zu bleiben, und trage mich mit dem Gedanken, das Malen aufzugeben.«
    »Und was hält Sie davor zurück?«
    Philip zögerte einen Augenblick.
    »Ich glaube, mir gefällt das Leben hier.«
    Eine Veränderung kam über Cronshaws friedliches rundes Gesicht. Seine Mundwinkel verzogen sich, die Augen sanken tiefer in ihre Höhlen; er sah mit einem Male seltsam gebeugt und alt aus.
    »Das hier?«, rief er, indem er sich in dem Café umblickte. Wahrhaftig, seine Stimme zitterte ein wenig.
    »Wenn Sie hier herauskommen können, dann tun Sie es, solange noch Zeit ist.«
    Philip starrte ihn erstaunt an, aber der Anblick starker Gefühle machte ihn immer befangen, und rasch senkte er wieder die Augen. Er wusste, dass er die Tragödie eines verfehlten Lebens vor sich hatte. Eine Stille trat ein. Philip glaubte zu erraten, worüber Cronshaw nachsann; er mochte an seine Jugend denken mit ihren strahlenden Hoffnungen und an die Enttäuschungen, die allen Glanz ausgelöscht hatten; an die kärgliche Einförmigkeit des Vergnügens und an die dunkle Zukunft. Philips Augen blieben an dem Stapel Unterteller haften, der sich auf dem Tisch türmte, und er fühlte, dass Cronshaws Blicke das gleiche Ziel hatten.
    51
     
    Zwei Monate vergingen.
    Es schien Philip, als er über diese Dinge nachgrübelte, dass in den wahren Malern, Schriftstellern und Musikern eine Kraft wohnte, die sie so unvermeidlich und vollkommen an ihre Arbeit fesselte, dass es ihnen selbstverständlich wurde, das Leben

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