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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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›Sir‹ sagen«, sagte sein Onkel.
    »Werden wohl eine Menge zu lernen haben«, schrie der Direktor mit aufmunternder Freundlichkeit.
    Um dem Jungen Zutrauen einzuflößen, fing er an, ihn mit seinen groben Fingern zu kitzeln. Philip war schüchtern, fühlte sich unbehaglich und wand sich unter der Berührung.
    »Ich habe ihn fürs Erste in den kleinen Schlafsaal gesteckt… Das wird dir doch gefallen?«, wandte er sich an Philip. »Da seid ihr bloß acht, und du wirst dich nicht so fremd fühlen.«
    Dann ging die Tür auf, und Mrs.   Watson kam herein. Sie war eine dunkle Frau mit schwarzem Haar, das in der Mitte sauber gescheitelt war. Sie hatte merkwürdig dicke Lippen, eine kleine, runde Nase und große dunkle Augen. Sie wirkte ungewöhnlich kalt. Sie sprach selten und lächelte noch seltener. Ihr Gatte stellte ihr Mr.   Carey vor und stieß Philip mit einem freundschaftlichen Puff zu ihr hin.
    »Das ist der neue Junge, Helen. Er heißt Carey.«
    Wortlos reichte sie Philip die Hand und setzte sich dann, immer noch ohne zu sprechen, während ihr Mann Mr.   Carey fragte, was Philip gelernt und was für Bücher er benützt hatte. Der Vikar von Blackstable fühlte sich ein wenig eingeschüchtert durch Mr.   Watsons lärmende Herzlichkeit und stand nach einer Weile auf.
    »Es wird wohl das Beste sein, wenn ich Ihnen Philip nun überlasse.«
    »Sehr schön«, entgegnete Mr.   Watson. »Das können Sie beruhigt tun. Hier ist er gut aufgehoben. Wird gar nicht wieder wegwollen. Nicht wahr, junger Freund?«
    Ohne Philips Antwort abzuwarten, brach der riesige Mensch in ein dröhnendes Gelächter aus, Mr.   Carey küsste Philip auf die Stirn und ging.
    »Komm jetzt mit mir, kleiner Bursche«, brüllte Mr.   Watson. »Wir wollen uns das Schulzimmer ansehen.«
    Er fegte mit Riesenschritten aus dem Zimmer, und Philip hinkte eilig hinter ihm drein. Er wurde in einen langen, kahlen Raum mit zwei Tischen geführt, die sich durch die ganze Länge des Zimmers zogen und zu beiden Seiten von hölzernen Bänken flankiert waren. »Noch niemand hier, vorläufig«, sagte Mr. Watson. »Jetzt zeige ich dir nur noch den Spielplatz, und dann kannst du dich allein beschäftigen.«
    Mr.   Watson ging voran. Philip fand sich auf einem weiten Spielplatz wieder, der auf drei Seiten von hohen Ziegelmauern eingeschlossen war. Auf der vierten Seite zog sich ein Eisengitter, durch das man eine große Rasenfläche und jenseits davon einige Gebäude der Kings School erblickte. Ein kleiner Junge schlenderte trostlos umher. Bei jedem Schritt stieß er den Kies vor sich her.
    »Hallo, Venning«, brüllte Mr.   Watson. »Wann bist du angekommen?«
    Der kleine Junge kam heran und grüßte.
    »Da ist ein neuer Junge. Er ist älter und größer als du. Ärgere ihn also nicht.«
    Der Direktor strahlte die beiden Kinder freundschaftlich an; seine dröhnende Stimme erfüllte sie mit Angst. Dann verließ er sie mit lautem Gelächter.
    »Wie heißt du?«
    »Carey.«
    »Was ist dein Vater?«
    »Mein Vater ist schon tot.«
    »Ach! Wäscht deine Mutter?«
    »Meine Mutter ist auch schon tot.«
    Philip dachte, dass diese Antwort Eindruck auf den Jungen machen müsste, aber Venning war nicht so leicht von seiner Scherzhaftigkeit abzubringen.
    »Und, hat sie also gewaschen?«
    »Ja.«
    »Dann war sie eine Waschfrau?«
    »Nein, natürlich nicht.«
    »Dann hat sie nicht gewaschen.«
    Der kleine Junge krähte vor Entzücken über seine Schlagfertigkeit. Dann fiel sein Blick auf Philips Fuß.
    »Was ist mit deinem Fuß los?«
    Philip bemühte sich instinktiv, ihn zu verbergen. Er versteckte ihn hinter dem gesunden.
    »Ich habe einen Klumpfuß«, antwortete er.
    »Wie hast du den bekommen?«
    »Ich habe ihn immer schon gehabt.«
    »Lass mal sehn.«
    »Nein.«
    »Dann nicht.«
    Der kleine Junge begleitete diese Worte mit einem heftigen Tritt gegen Philips Schienbein, den Philip nicht erwartet hatte und gegen den er sich deshalb nicht schützen konnte. Der Schmerz war so groß, dass es ihm den Atem verschlug, aber noch größer war seine Überraschung. Er wusste nicht, warum Venning ihn getreten hatte, und hatte nicht die Geistesgegenwart, sich zu wehren. Überdies hatte er in The Boy’s Own Paper gelesen, dass es als Schande galt, einen Kleineren zu schlagen. Während Philip mit seinem Schienbein beschäftigt war, kam ein dritter Junge hinzu, und sein Peiniger ließ von ihm ab. Nach kurzer Zeit bemerkte er, dass sich die beiden über ihn unterhielten, und er

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