Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
Vom Netzwerk:
fühlte, dass sie auf seinen Fuß starrten. Es wurde ihm heiß und unbehaglich.
    Aber andere Jungen kamen hinzu, ein Dutzend und dann noch mehr, und alle erzählten, wie sie ihre Ferien verbracht hatten, wo sie gewesen waren und welch herrliche Kricketpartien sie gespielt hatten. Ein paar neue Knaben erschienen, und mit diesen kam Philip ins Gespräch. Er war schüchtern und ängstlich. Er war bemüht, sich beliebt zu machen, aber es fiel ihm nichts ein, worüber er sprechen könnte. Viele Fragen wurden an ihn gerichtet, und er beantwortete sie alle bereitwillig. Einer der Jungen fragte ihn, ob er Kricket spielen könne.
    »Nein«, antwortete Philip. »Ich habe einen Klumpfuß.«
    Der Junge blickte schnell hinunter und errötete. Philip bemerkte, dass er das Gefühl hatte, eine Taktlosigkeit begangen zu haben. Er war zu schüchtern, um sich zu entschuldigen, und schaute Philip verlegen an.
    11
     
    Am nächsten Morgen, als Philip durch das Läuten einer Glocke geweckt wurde, blickte er sich erstaunt um. Dann ertönte eine Stimme, und er erinnerte sich, wo er war.
    »Bist du wach, Singer?«
    Die einzelnen Abteilungen des Schlafraumes waren aus poliertem Eichenholz und vorne mit einem grünen Vorhang versehen. In jenen Tagen wurde noch wenig Wert auf frische Luft gelegt, und die Fenster wurden geschlossen gehalten, nur vormittags wurde gelüftet.
    Philip stand auf und kniete nieder, um zu beten. Es war ein kalter Morgen, und er fror; aber sein Onkel hatte ihn gelehrt, dass sein Gebet Gott wohlgefälliger war, wenn er es im Nachthemd verrichtete. Dies wunderte ihn nicht weiter, denn es war ihm allmählich klargeworden, dass Gott auf das Unbehagen seiner Anbeter Wert legte. Dann wusch er sich. Es gab zwei Badezimmer für die fünfzig Zöglinge, und jeder Junge durfte einmal in der Woche baden. Ansonsten musste ein kleines Waschbecken genügen, das auf einem Gestell stand und nebst dem Bett und einem Stuhl die ganze Einrichtung einer Koje ausmachte. Die Knaben plauderten fröhlich, während sie sich anzogen. Philip war ganz Ohr. Dann läutete wieder eine Glocke, und alle liefen hinunter. Sie nahmen im Schulzimmer auf den Bänken Platz, die auf beiden Seiten der langen Tische standen; dann erschien Mr.   Watson, gefolgt von seiner Frau und den Dienstboten. Sie setzten sich ebenfalls. Mr.   Watson las die Gebete auf eindrucksvolle Art; mit seiner Donnerstimme brüllte er die frommen Worte, als wären es Drohungen, die sich gegen jeden einzelnen Jungen persönlich richteten. Philip hörte angsterfüllt zu. Dann las Mr.   Watson ein Kapitel aus der Bibel, und die Dienstboten zogen ab. Gleich darauf brachte der unordentliche junge Mensch zwei große Teekannen herein, und bei seinem zweiten Erscheinen riesige Teller mit Butterbroten.
    Philip hatte einen empfindlichen Gaumen, und die dicken Schichten schlechter Butter auf dem Brot drehten ihm den Magen um; schließlich machte er es wie ein paar andere Knaben und kratzte die Butter weg. Alle Jungen aßen Fleischkonserven oder dergleichen, die sie von zu Hause mitgebracht hatten; und manche bekamen ›Extras‹, Eier oder Speck, an denen Mr.   Watson verdiente. Als er Mr.   Carey gefragt hatte, ob Philip welche bekommen sollte, hatte Mr.   Carey erklärt, der Junge solle nicht verwöhnt werden. Mr.   Watson gab ihm vollkommen recht; auch er war der Ansicht, dass es für heranwachsende Burschen nichts Besseres gebe als Butterbrot – aber manche Eltern wollten es leider nicht einsehen.
    Philip bemerkte, dass einem ›Extras‹ ein gewisses Ansehen verliehen, und nahm sich vor, Tante Louisa in seinem nächsten Brief um welche zu bitten.
    Nach dem Frühstück strömten die Jungen auf den Spielplatz. Hier hatten sich allmählich die Externen versammelt. Sie setzten sich aus den Söhnen der Ortsgeistlichen, der Offiziere und der Fabrikanten und Geschäftsleute der Stadt zusammen. Nach einer Weile läutete die Glocke, und man begab sich in die Schule. Diese bestand aus einem langen, großen Zimmer, an dessen entgegengesetzten Enden je ein Lehrer unterrichtete – der eine die zweite, der andere die dritte Klasse –, und in einem kleineren Raum daneben herrschte Mr. Watson. Er hatte die erste Klasse unter sich. Philip wurde in die unterste gesteckt. Der Lehrer, ein Mann mit rotem Gesicht und angenehmer Stimme, hieß Rice; er hatte eine nette Art, mit Kindern umzugehen, und die Zeit verging rasch. Philip war ganz überrascht, als es drei viertel elf war und ihnen eine Pause von

Weitere Kostenlose Bücher