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Der Menschen Hoerigkeit

Der Menschen Hoerigkeit

Titel: Der Menschen Hoerigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: W. Somerset Maugham
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zehn Minuten gewährt wurde.
    Alles stürmte lärmend auf den Schulhof. Die neuen Jungen mussten in der Mitte bleiben, während die andern an den beiden einander gegenüberliegenden Mauern Aufstellung nahmen. Sie spielten ›Pig in the Middle‹. Die älteren Jungen liefen von Mauer zu Mauer, und die neuen bemühten sich, sie zu fangen. Wenn einer erwischt wurde und die mysteriösen Worte ausgesprochen waren: »One, two, three, and a pig for me«, war er gefangen und musste den andern helfen, die noch Freigebliebenen zu fangen. Philip sah einen Jungen vorüberrennen und versuchte, ihn zu fassen, aber sein Fuß hinderte ihn daran; und die Laufenden begriffen sehr rasch ihren Vorteil und liefen nun absichtlich immer wieder an ihm vorbei. Schließlich verfiel einer auf die großartige Idee, Philips unbeholfenes Rennen nachzuahmen. Ein paar andere Jungen sahen es und fingen zu lachen an; dann machten sie es alle dem ersten nach und hinkten mit lautem Geschrei und schrillem Gelächter um Philip herum. Sie gerieten außer Rand und Band bei dieser neuen Unterhaltung und hielten sich die Seiten vor Lachen. Einer stellte Philip ein Bein, und er stürzte schwer, wie jedes Mal wenn er fiel, und schlug sich das Knie auf. Als er aufstand, lachten die andern nur noch lauter. Ein Junge stieß ihn von hinten, und er wäre noch einmal hingefallen, wenn ihn nicht ein anderer aufgefangen hätte. Über dieser Belustigung wurde das Spiel vollkommen vergessen. Einer der Jungen erfand ein merkwürdiges, rollendes Humpeln, das die andern besonders komisch fanden, so dass sich einige vor Lachen auf dem Boden wälzten.
    Philip war völlig verstört. Er begriff nicht, warum er ausgelacht wurde. Sein Herz schlug so heftig, dass er kaum atmen konnte, und er fürchtete sich wie noch nie im Leben. Still und eingeschüchtert stand er da, während die anderen um ihn herumliefen und ihn verhöhnten. »Fang uns doch«, riefen sie ihm zu, aber er rührte sich nicht. Sie sollten ihn nicht mehr laufen sehen. Er musste seine ganze Kraft aufwenden, um nicht zu weinen.
    Plötzlich läutete die Glocke, und alle drängten in die Schule zurück. Philips Knie blutete, und er war staubig und zerzaust. Es dauerte eine ganze Weile, ehe Mr.   Rice seine Klasse wieder beruhigen konnte. Sie waren noch immer aufgeregt wegen des seltsamen Neuen, und Philip sah, wie ein oder zwei verstohlen seinen Fuß betrachteten. Er schob ihn unter die Bank.
    Am Nachmittag sollte Fußball gespielt werden, aber Mr.   Watson hielt Philip nach dem Mittagessen zurück.
    »Du kannst wohl nicht Fußball spielen, Carey?«, fragte er.
    Philip errötete.
    »Nein, Sir.«
    »Dann gehst du mit zum Fußballplatz und siehst zu. Der Weg wird dir doch nicht zu weit werden?«
    Philip hatte keine Ahnung, wo der Fußballplatz lag, antwortete aber auf alle Fälle:
    »Nein, Sir.«
    Mr.   Rice hatte die Aufsicht über die Jungen. Als er sah, dass Philip sich nicht umgezogen hatte, fragte er ihn nach dem Grund.
    »Mr.   Watson hat gesagt, dass ich nicht mitzuspielen brauche.«
    »Warum nicht?«
    Die Jungen scharten sich um ihn, und er fühlte ihre neugierigen Augen auf sich gerichtet. Ein Gefühl von Scham überkam ihn. Ohne zu antworten blickte er zu Boden. Die andern antworteten für ihn.
    »Er hat einen Klumpfuß, Sir.«
    »Ach so.«
    Mr.   Rice war noch ganz jung; er hatte erst vor einem Jahr seine Prüfungen gemacht und wusste nun nicht, was er tun sollte. Am liebsten hätte er sich bei dem Jungen entschuldigt, aber dazu war er zu schüchtern. Er gab seiner Stimme einen rauhen und barschen Ton.
    »Los Jungs, worauf wartet ihr noch? Vorwärts mit euch.«
    Einige hatten sich schon auf den Weg gemacht, und die, die übriggeblieben waren, brachen nun in kleinen Gruppen von zweien oder dreien auf.
    »Du kommst am besten mit mir, Carey«, sagte der Lehrer. »Du kennst den Weg noch nicht.«
    Philip erriet die freundliche Absicht, und ein Schluchzen stieg ihm in die Kehle.
    »Ich kann nicht sehr schnell gehen, Sir.«
    »Dann werd ich eben sehr langsam gehen«, entgegnete der Lehrer lächelnd.
    Philips Herz flog Mr.   Rice zu, diesem einfachen jungen Menschen mit seinem roten Gesicht, der ein freundliches Wort zu ihm gesagt hatte. Er fühlte sich mit einem Mal weniger unglücklich.
    Aber abends, als alle schlafen gingen und sich auszogen, kam der Junge, der Singer hieß, aus seiner Koje heraus und steckte den Kopf in Philips Abteil.
    »Du, lass mal deinen Fuß sehen«, sagte er.
    »Nein«, antwortete

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