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Der mieseste aller Krieger - Roman

Der mieseste aller Krieger - Roman

Titel: Der mieseste aller Krieger - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Aufbau
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Die Umstehenden klatschten immer frenetischer, Lebende wie Tote stimmten mit ein, während Gott Alzamora in der Kirche seine letzte Messe hielt.
    Und für kurze Zeit erstand manch einer der jungen Burschen, die man mit Kugeln durchsiebt hatte, aus der Sandgrube auf, erhob sich in seinem durchsichtigen Geistergewand, überquerte die staubige Landstraße, um inmitten seiner Angehörigen zu tanzen, die er zu früh zurücklassen musste. Bis er, umhüllt von aufwirbelnden Staubwolken, wieder in die salpeterhaltige Erde zurückkehren musste. Ach, Benito, davon kann ich ein Lied singen.
    Dem Priester zitterten dermaßen die Hände, dass er die eine oder andere Greisin fast erstickt hätte, als er die geweihte Hostie auf ihre Zunge legte. Er seufzte ständig und schaute jede Sekunde auf seine Armbanduhr, während er sich fragte, ob die Trini schon auf der Landstraße unterwegs sei, ob sie, den Kopf in ein Tuch gehüllt, den Ort schon verlassen habe. Als er verkündete: »Jetzt dürft ihr euch erheben, und gehet hin in Frieden«, hörte man das Gezischel und Geflüster der Leute in den Bankreihen. Der Priester gebot ihnen Einhalt.
    »Einen Augenblick noch, bitte, schenkt mir nur noch eine Minute.«
    Alle verstummten. Alzamora musste schlucken.
    »Ich will euch meinen Rücktritt vom Priesteramt mitteilen. Mir ist etwas passiert, das mir nicht erlaubt, weiter als Priester tätig zu sein: Ich habe mich in eine Frau verliebt.«
    Ein Raunen ging durch die Menge, so laut, dass man ihn kaum noch verstehen konnte.
    »Ich weiß, dass viele von euch über meinen sündigen Lebenswandel Bescheid wussten, vor euch will ich mich bekennen und vor Gott, damit ihr mir verzeiht. Es ist an der Zeit, meine Soutane an den Nagel zu hängen und die Frau zu heiraten, die ich liebe. Noch heute werde ich den Bischof informieren und ihn bitten, einen Ersatz für mich zu schicken. Diese Messe war die letzte, die ich gehalten habe.«
    Pater Alzamora wandte sich mit dem Gesicht dem Altar zu, verneigte sich und ging hinaus in die Sakristei, wo er seine Soutane auf einen Bügel hängte, um sie nie wieder zu tragen. Als er dann ohne sein Gewand auf die Straße trat, fühlte er sich wie nackt. Die Gläubigen waren immer noch erschüttert von der Neuigkeit, die er ihnen verkündet hatte. Man flüsterte sich zu, dass Alzamoras Vorbild Mut mache, er sei einer, der zu jeder Zeit Entschlossenheit gezeigt habe. Außerdem rühmte man ihn geradezu als untadelig hinsichtlich seiner Teilnahme an den Treffen im Gesellschaftsklub. Vor allem aber galt er als der Held, der es mit der Lorenzona aufgenommen hatte, dem Schrecken nicht nur der Kinder, die ihren Teller nicht leer essen wollten, sondern auch der Pampinos, denen sie über den Weg gelaufen war.
    Eine Gruppe von Gläubigen bildete inzwischen einen weiten Halbkreis vor dem Kirchenportal.
    »Ein ehrbarer Mann in schwierigen Zeiten«, wisperte eine Greisin unter Tränen.
    »Viel Glück, Pater«, wünschte ihm die Mutter eines jungen Gefangenen.
    »Glückwunsch!«, sagte daraufhin ein Trottel.
    »Gesegnet seiest du, heilige Straffreiheit!«, hätte Alzamora am liebsten laut ausgerufen.
    »Dieser Ort wird nie mehr einen so menschenfreundlichen Priester haben!«, sagten die Leute, die gleich nach La Serena aufbrechen wollten, nur um an der Hochzeit des unverhofften Paars teilzunehmen.

Iquique, 1959 – 1960
    Carmelo besaß die Eigenschaft, alle zu hypnotisieren, die ihm zuhörten. Seine Worte waren klar und deutlich, er vermochte es, den Dingen, über die er sprach, einen Sinn zu verleihen. Und so gelang es ihm, seine Kameraden zu überzeugen, mit ihm auf diesen Berg zu steigen. Den Jungs brannte die Kehle, als sie die erste Anhöhe erreichten, und der Schatten eines Aasgeiers folgte ihrer Spur. Trotzdem stiegen sie, mit Eimern und Kalksäcken beladen, weiter die höchsten Gipfel von Iquique hinauf. Die berittene Polizei beobachtete die aufwirbelnde Staubspur hoch über der Schlucht, doch man ließ die Jungs gewähren, in dem Glauben, es handle sich nur um ein paar harmlose Jugendliche, die ihnen keinen wirklichen Ärger bereiten würden. Oben auf dem Gipfel wurden Carmelo und seine Kameraden von anderen jungen Leuten erwartet, die auf einer Länge von etwa fünfundzwanzig Metern Buchstaben aus Steinen gelegt hatten. Gemeinsam machten sie sich daran, die Steine mit dem in Wasser gelösten Kalk zu tünchen – am Ende sollten sie weiß über das Tal leuchten und ihre Botschaft bis in die Stadt verkünden. Die

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