Der Minus-Mann
den ich liebe, aber ich kann so nicht mit dir leben. Der Mann hat sich gezeigt, zärtlich und empfindsam, jetzt, gibt es ihn nicht mehr‹ … Ich stecke den Brief von Stella in die Tasche zurück. Vor vier Tagen hat sie ihn mir geschrieben. ›Dein Gehirn verrottet, deine Seele schwimmt im Dreck, und du siehst tatenlos zu. Von all dieser unnennbaren Zärtlichkeit sind nur Zerstörungsdrang und Aggressivität geblieben. Das Gras hier am Berg ist schon hoch, ich treibe durch die Wiesen. Mein Denken ist frei von dir. Die Glocke ist zersprungen, bleibt stumm. Erinnere dich an den Traum, du hast das Glashaus zertreten, jetzt wühlst du in den Scherben‹ … steht da. Ich weiß jede Zeile.
»Verschwinde«, sage ich zu einem, der sich an den Tisch setzen will. Er zieht die Brauen hoch.
»Warum?« fragt er.
»Weil ich hier allein, allein, verstehst du, sitzen möchte«, sage ich und ziehe ihn an den Jackenaufschlägen hoch und über den Tisch. Einige Male treffe ich ihn ins Gesicht.
»Bitte«, sagt die Kuhäugige und hält meinen Arm. Er lehnt an der Wand. Blut läuft ihm über den Mund. Harry taucht plötzlich auf und führt ihn zur Treppe.
»Vergiß die Idioten«, sagt er und bringt mir ein volles Glas.
…Idioten, welche Idioten? Die da, sie kommen und rauchen ihre Joints, lassen Zeit liegen in ihrer Unbeweglichkeit. Es ist ihr Club, und ich bin der Eindringling. Sie verbreiten Lähmung und Schwäche, dadurch wecken sie meine Wut. Ich trinke schnell weiter.
…Wabbelnde Brüste und verfaultes, madiges Fleisch. Waschlauge im Gehirn, Flammen an den Eiern und Scheiße zwischen den Zähnen, schmierige, gelbe Scheiße. Verbrannte, abgehackte Fäuste in überquellenden Müllkübeln und Sterbende mit schorfigen Gliedern. Gedärme ringeln sich um meinen Hals, würgend und schlitzig. Bleiche, behaarte Hände wühlen an meinem Schwanz, ein Messer blitzt. Ich bin kastriert.
Ich werfe Geld auf den Tisch, taumle die Treppe hoch. Dann, das Gesicht an die kalte Luft gelegt, bin ich allein zwischen den Häusern. Das harte Geräusch meiner Schritte am Kopfsteinpflaster im engen Gegenüber der Hauswände. Tageslicht fließt frisch und fremd in die Gassen. Ein früher Wind wirbelt Staub über den Graben. Der Stephansturm ragt in den grießigen Dunst.
Die graubahnige Straße dehnt sich vor meinen Schritten. Hände und Fingerglieder in aufgeteilter Zärtlichkeit, Nippel härten an saugenden Lippen, zerficken, zerlecken in porenunendlicher Berührung, schlafwarm und ängstlich in meinen Händen. Ich werfe den Zigarettenstummel auf ein Kanalgitter, langsam kippt er in ein schwarzes Loch. Irgendwo scheppern Milchkannen. Eine Straßenbahn rumpelt leer über die Opernkreuzung. Der Polizist vor dem El-Al-Büro gähnt gegen die Scheibe des Geschäftes daneben. Ich gehe durch die Operngasse zum Naschmarkt.
Ich treibe im Gehirnkot. Die breiige Luft der Lokale klebt an mir. ›Koblinger‹, ›Alex‹. Das nächtliche Strandgut sitzt triefäugig an den Tischen. Alex serviert beflissen und besorgt.
In der Küche verprügelt einer seine Dirne. Sie schreit gellend, Alex runzelt unwillig die Brauen. Dann, ein dumpfer Aufschlag, jemand kommt aus der Küche.
»Dea Scheißkraumpn«, sagt er.
Wir schütteln uns die Hände. Kennen einander seit langer Zeit vom Sehen. Ich trinke Cola und Bourbon. Sentimentale Scheiben kreisen in der Box. Eine andere Hure heult. Keiner kümmert sich darum. Durch die Scheibe schaue ich auf den Blumenstand gegenüber. Riesige Gladiolen leuchten violett und sattrot. Dann fällt die Trunkenheit über mich her. Äxte klopfen hinter der Stirn. Im Spiegel verbluten meine Augen.
Alex organisiert mir ein Taxi.
»In die Pratersauna«, sage ich, dann geschlossene Augen, aber kein Schlaf. Zertrunkene Stunden und Tage hinter mir. Die Fahrgeräusche hallen und dröhnen, an der Schädeldecke, seitwärts an den Schläfen, hinter den Augäpfeln, regelmäßige Stiche. Das Hirn streikt. Die Hände greifen langsam tastend gegen die Vordersitze.
Die Beine sind geschwollen. Das Taxi hält. Ich bezahle. Steif steige ich aus. Hinter dem Kassapult sitzt eine junge Frau. Ich schiebe ihr eine Banknote zu. Sie lächelt, fragt – auf Abrechnung.
»Ja«, sage ich und nehme den Schlüssel für den Umkleidekasten, Holzschuhe und Handtücher. Dann steige ich langsam die Treppen hoch. Beim Umziehen muß ich mich festhalten. Mir ist zum Kotzen. Die Beine zittern. Die Umgebung schaukelt.
Mit der Rechten halte ich mich am Geländer,
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