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Der Minus-Mann

Der Minus-Mann

Titel: Der Minus-Mann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz Sobota
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scheißgrauer Nachmittag dehnt sich. Seit zwei Stunden stehe ich am Fenster. Es ist verboten, aber was ist nicht verboten in diesem Haus. Ich schaue in den Gefängnishof hinunter, zur Garage, zum Haupttor. Ein Baum will noch grün sein inmitten der Schatten und des Betons. Ich weiß nicht, ob er grün oder braun ist, er scheint mir beengt, bedrückt. Später, abends wird er schwarz, dann paßt die Farbe. Reihen vergitterter Fenster, manche mit engmaschigem Sicherheitsdraht zusätzlich versehen, der E-Trakt gegenüber.
    Es regnet kaum merklich. Der Posten steht unten, winkt.
    »Gengans owe vom Fensta«, ruft er.
    Ich gehe einen Schritt zurück, warte. Nach einiger Zeit ist er weitergegangen in einen anderen Hof. Es ist halb zwei Uhr. Ein Tag geschieht. Ich denke nicht, will nichts wahrhaben. Das Warten, die Leere genügen mir. Ob du da bist, was bedeutet es. Das Morgen ist nichts anderes, das Gestern war es auch nicht.
    Ich drehe mir eine Zigarette, blase den Rauch gegen die Gitter. Eine Frau geht über den Hof. Von anderen Fenstern wird gerufen:
    »Los di pudan, kumm blosn.« Nichts Feines, wozu auch? Man ist im Gefängnis, die Männer sind gierig, die Frau weiß das. Sie ist hier angestellt. Als Aufseherin in der Frauenabteilung. Ihr ist das Schreien egal, sie ist es gewohnt.
    »Deck auf a bissl«, schreit einer vom dritten E, der wegen Raubes sechs Jahre hat. Ich kenne ihn zufällig. Er schreit seine Angst hinaus. Nicht seine Gier. Sein Elend, die sechs Jahre, er hat sie vor sich, hat Scheißangst davor. Nicht vor den einzelnen Tagen; vor der Gesamtheit der dreihundertzwölf Wochen, der zweitausendeinhundertneunzig Tage. Brüllen lockert die Angst, überspielt die Nerven, das Wissen um das Unausweichliche.
    Ich weiß Bescheid. Wir alle wissen Bescheid. Das Scheißmittagessen steht in fünf Jahren auch um elf Uhr am Tisch, und an einem Dienstag in vier Jahren gibt es zum Abendessen Grießkoch, wie vor zehn Jahren.
    Schnauze. Ach ja, ich halt schon die Schnauze. Verdammte Monotonie, verfluchte, verschissene Gleichförmigkeit. Der Wachtposten kommt wieder aus dem anderen Hof. Er ist jung und eifrig. Mißtrauisch blickt er die Fensterreihen entlang. Jeden, den er am Fenster sieht, jagt er weg. Manchmal geht er sofort zu einem Telefon in der Wandnische bei der Garage und meldet.
    »Viertes Fenster, zweiter Stock, einer mit einem hellen Pullover«, sagt er dann. Sie kommen zur Zelle. Das erstemal wird verwarnt, das nächstemal abgesondert. Ab in eine Einzelzelle in den Keller. Einziges Inventar ein stinkender, verrosteter Scheißkübel und ein kleiner Plastikkrug mit Wasser.
    Zwei weibliche Häftlinge gehen über den Hof, dem Tor zu. Eine Aufseherin ist hinter ihnen. Eine der Gefangenen ist jung, die andere alt. Beide sind häßlich. Angebote prasseln auf sie nieder. Frauen, Frauen, wie in jedem Gefängnis. Jedes Gespräch endet bei ihnen, jede Diskussion heizt sich an ihnen an. Auch die Geschichte kenne ich langsam. Hier in der Erzählung, der Erinnerung, dem Wunsch, ist sie immer jung, zärtlich und atemberaubend schön. Die passende Onanie-Vorlage. Lange Beine, pralle Brüste, volle, weiche Lippen, große, sanfte Augen, zärtliche Hände. Ach was, wichtig ist, daß es sie gibt. Nach einiger Zeit auch ohne bestimmtes Gesicht.
    Sie ist dann eine oder alle Frauen, ich habe selber keine Antwort darauf.
    Dann bist DU da und greifst mich an. Ich kenne dich Vertraute, Liebste, dunkle, weiche Schattenfrau, die ich liebe, liebe. Die Sehnsucht härtet die Muskeln im Rücken, im Bauch. Ich verschließe die Augen vor dem plötzlichen Ansturm. Laß mich los, geh aus meinen Händen. Später hole ich dich in den Beginn des Schlafes. Wir liegen am Meer, halten uns an den Händen, den Fingerspitzen, sind im Garten. Atmen gemeinsam, spazieren am Fluß, küssen uns. Gestochen klare, scharfe Bilder sind vor meinem Blick.
    Blechschalen klappern am Gang. Einer singt irgendwo, ›Yesterday‹. Die anderen schauen, faul und ohne Blick, gehen auf und ab.
    Es ist drei Uhr. Es regnet stärker. Die Zelle ist feucht und kalt. Zu Mittag habe ich gewaschen. Trikot und U-Hose, Handtuch und Socken. Es trocknet jetzt alles sehr langsam. Auch der Tabak ist feucht.
    Im Hof ist es laut geworden. Strafgefangene gehen spazieren. Auf dem Garagendach ist ein enger Spazierhof, ein Betonviereck. In einer Ecke, etwas höher, der Glaskasten für den Aufsichtsbeamten. Eine Autotür wird zugeworfen. Ein Mann lacht. Das Licht sinkt in sich, fahl, diffus. Ich

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