Der Mittelstürmer: Die Geschichte eines schwulen Profi Fussballers
Verlangen, an die Luft zu kommen, war groß. Er ging wie auf Watte, aber hatte keine Schmerzen und keinen Schwindel mehr. Er merkte sich die Straße, in der er jetzt wohnte, und erforschte die Gegend. Er war anscheinend mitten im Chinesenviertel gelandet. Ein emsiges Treiben auf den Straßen, lautes Handeln mit dem merkwürdigsten Getier. Am Ende einer Gasse erblickte er den Chao Praya. Den stinkendsten und schönsten Fluss. Schon als Kind liebte er das Geschehen rund um diesen großen Strom. Er ging, lief fast zu einem Steg, an dem die Busboote anlegten, und setzte sich auf einige Bretter. Er war erschöpft, aber nun wusste er, wo er war. Er musste zurück, er hatte Tia das Versprechen gegeben, zu Hause zu sein, und er wollte sie nicht enttäuschen.
Über die nächsten Tage berappelte sich Marc immer mehr. Es schien, als ob er sogar eine Nuance an Lebensmut wiedererlangte. Tagsüber rannte er durch die Straßen, machte jedes Mal eine kleine Pause am großen Strom und kehrte dann wieder zurück in das kleine Zimmer mit dem Buddha an der Wand und den zwei Mädchen. Marc und Tia fragten nicht nach der Vergangenheit und der Zukunft. Nicht einmal die Gegenwart trauten sie sich ansprechen. Li packte er an manchen Abenden in ein Tuch und zeigte ihr die Welt. Er wickelte sie, badete sie und spielte mit ihr. Legte sie aber dann immer wieder in ihre Wiege.
Marcs Geld ging zur Neige. Die Kreditkarte war weg. Er musste arbeiten, denn wenn er eine neue Karte beantragen würde, könnte sein altes Leben ihn finden. Er brauchte Arbeit. Aber welche? In Chinatown nahmen sie keine Europäer, das konnte er gleich vergessen. Er nahm sich vor, so bald wie möglich einen Job zu finden. Die Arbeitssuche trieb ihn eines Tages in das Touristenviertel. Sein Plan war, für ein paar Chinesen auf dem Nachtmarkt einige Sachen zu verkaufen. Aber er kannte weder Chinesen noch wusste er, wie er das anstellen sollte. Also zog er wieder ab. Auf dem Weg in das kleine Zimmer kam er an einer Baustelle vorbei.
Ein Wolkenkratzer. Man erkannte nicht, ob er abgerissen wird oder ob ihnen das Geld ausgegangen war, um ihn fertigzustellen. Es reizte ihn hochzuklettern wie damals als Schuljunge, als er immer mit seinen Mitschülern auf den Dächern von Hochhäusern abgehangen hatte. Er stieg die Treppen hinauf, immer höher und höher. Der Atem ging ihm aus, aber das machte ihm nichts aus. Die Wunde brannte, aber das war ihm egal, denn er wurde mit einem grandiosen Blick über die Stadt entschädigt. Stundenlang saß er nun da, starrte in die Ferne und dachte ins Leere. Er war hier oben komplett mit sich allein. Das tat ihm gut. Es wurde Abend, und er musste seinem Versprechen nachkommen. Beim Hinuntergehen wusste er aber, dass er hierher zurückkehren würde.
Tia saß vor ihrem Buddha und weinte leise. Dieses kleine dünne Mädchen wirkte so fragil, dass es den Anschein hatte, sie könnte zerbrechen, wenn man sie nur leicht berührte. Marc näherte sich ihr vorsichtig, kniete sich zu ihr auf den Boden und nahm sie ganz vorsichtig in seine Arme. So saßen sie eine lange Zeit, beide weinten stumm und hingen ihren Gedanken nach.
Später sprachen sie zum ersten Mal mehr als nur einen Satz. Er erfuhr, dass sie als Masseuse arbeitete. Er sprach nicht aus, was er dachte: Also gehst du auf den Strich. Außerdem erfuhr er, dass sie kaum genug Geld verdiente, um für Li zu sorgen. Sie aber froh war, jemanden hier zu haben, der auf Li aufpasste. Marc bedankte sich für ihre Pflege und versprach ihr, sich eine Arbeit zu suchen, um etwas zum Leben beizutragen. Er erzählte nichts über sein Leben. Sie fragte nichts. Und er bohrte auch bei ihr nicht weiter. Das Einzige, worum er sie bat, war, ihm bei der Jobsuche zu helfen.
Ein paar Tage später brachte Tia einen Mann mit. Es war spät und heiß. Er sprach laut, ohne auf das kleine Baby Rücksicht zu nehmen.
»Du willst also arbeiten?«, erklärte er und blickte überheblich auf Marc.
Marc beobachtete diese seltsame Gestalt sehr genau. »Ja«, antwortete er nachdrücklich.
»Was kannst du denn?«, schrie der Fremde.
Da forderte ihn Marc auf, etwas leiser zu reden, da er sonst Li wecken würde. Und fügte hinzu: »Was könnte ich denn bei dir arbeiten?«
Der kleine chinesische Macho lachte ihn voller Verachtung an. »Du bist blond und groß. Ich hätte Kunden für dich!« Er grinste ihm jetzt ins Gesicht.
Marc glaubte zuerst, nicht richtig gehört zu haben, verstand aber gleich, dass dieser Typ keine Witze machte.
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