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Der Mörder mit der schönen Handschrift

Der Mörder mit der schönen Handschrift

Titel: Der Mörder mit der schönen Handschrift Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pierre Magnan
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Nur aufgrund des von meinen Vorfahren ererbten Geizes war ich imstande zu ahnen, was sich ein anderer Geiziger als Versteck für den Schatz ausgedacht und worin dieser Schatz bestanden haben könnte. Gerade ich, der ich mich immer über Intuitionen, über dunkle Vorahnungen lustig gemacht habe, ich, den alle angeblich übernatürlichen Erscheinungen stets in tiefes Unbehagen gestürzt haben, wenn nicht in eine teuflische Wut, gerade ich bin nun gezwungen, mich bei dem wichtigsten Ereignis meines Lebens fast ausschließlich auf sie zu berufen.«
    Bedächtig strich der Mann die Worte durch, die er zuletzt geschrieben hatte, und schrieb stattdessen: »Dem einzigen Ereignis meines Lebens.«
    Er fuhr auf. Ein beharrliches Klopfen war von unten aus der Richtung des Schuppens gekommen, in dem das Brennholz lagerte und wo sich die Tür befand, die mitten auf wegloses Brachland führte. Er horchte. Die Schläge wurden stärker, setzten aus und begannen mehrfach von neuem, bevor sie endgültig verstummten. Der Mann lauschte noch einen Moment regungslos, mit angehaltenem Atem. Aber dort draußen hörte man nur noch den Wind durch die Bäume am Bès pfeifen. Der Mann stieß einen tiefen Seufzer aus und schüttelte den Kopf.
    »Ich bin nicht einmal mehr in der Lage, den Lauf meiner Gedanken zu unterbrechen, um mich den einfachsten Freuden hinzugeben. Seit ich mit dieser sinnlosen Suche begonnen habe, die mir Liebe, Kinder und Lebensfreude ersetzt, die völlig von mir Besitz ergriffen hat, die mich – darüber bin ich mir völlig im Klaren – zu einem Besessenen herabwürdigt, seither schlage ich mich mit einem furchtbaren Zweifel herum.
    Habe ich mir vielleicht nur etwas zusammengereimt? Ich kann gerade einmal sicher sein, dank der Entdeckung, die ich auf dem Speicher von Madame Ambroisine Larchet gemacht habe, dass ich mich wenigstens im ersten Punkt nicht getäuscht habe. Aber im zweiten? Dem wichtigeren? Wie kann ich das herausfinden? Meine ersten zwei Versuche sind gescheitert. Werde ich die Kraft haben, weiterzusuchen? Habe ich auch alles gut durchdacht? Wenn nicht, wären all meine Opfer umsonst gestorben … Diese Vorstellung erdrückt mich. Ich lebe in Angst, und – werde ich wagen, es hinzuschreiben? – ich habe Schuldgefühle.
    Ich bin kein Mörder. Das klingt komisch aus dem Mund von jemandem, der schon vier Personen auf dem Gewissen hat. Nein! Ich bin kein Mörder. Der beste Beweis dafür: Ich habe ja keine Waffe. Ich benutze jedes Mal das, was ich gerade zur Hand habe. Kann man dieses alte rostige Bajonett eine Waffe nennen? Oder den Brunnendeckel? Und schon gar nicht die Schnur, mit der ich diesen alten Schwachkopf von Pencenat zum Stolpern gebracht habe, der fest damit rechnete, dass ich ihm die Säulen für sein Grab bezahlen würde.
    Ja, ich weiß. Ich bin ziemlich gerissen. Bei allen etwas heiklen Unternehmungen meines Vorhabens habe ich Handschuhe getragen. Ich verkleide mich während der Tat und nehme danach wieder mein gewohntes Aussehen an. Und so habe ich doch tatsächlich geglaubt, mit diesem zerlumpten Kostüm, das ich auf dem Speicher von Mademoiselle Champourcieux entdeckt hatte, meine Opfer dermaßen erschrecken zu können, dass sie mir ihren Besitz freiwillig überlassen würden, ohne dass ich sie aus dem Weg schaffen müsste. Aber offenbar waren sie ebenso willensstark und habgierig wie ich.
    Und nun stehe ich am Wendepunkt meiner Geschichte. Ich könnte aufhören und zu meinem friedlichen Leben zurückkehren; denn durch die Fingerabdrücke von Pencenat wie durch den Brief, den er im Augenblick seines Todes in den Händen hielt, hat sich die Justiz wohl oder übel davon überzeugen lassen, dass er die beiden Verbrechen begangen hat, und wenn sich nichts Neues mehr ereignet, wird es wohl auch dabei bleiben.
    Aber ich bin wie ein Spieler, der nur noch zwei Karten aufzudecken hat. Noch immer stehe ich mit leeren Händen da, und so kann ich wohl nicht darauf verzichten, auch bei den zwei verbleibenden Erbinnen nach dem zu suchen, was sie als Erbteil bekommen haben. Wenn das Geheimnis existiert, dann ist es bei einer der beiden zu finden. Nur … wird sich wenigstens eine finden, die mir ihren Besitz nicht unter Einsatz ihres Lebens streitig macht? Ich hätte sie nicht warnen sollen. Ich hätte sie erst gar nicht hellhörig machen dürfen. Aber es war doch so wenig, was ich von ihnen verlangte: gerade mal ein Andenken. Wie hätte ich ahnen können, dass ihre angeborene Habgier – angeboren wie die

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