Der Mörder mit der schönen Handschrift
dort draußen zu hören, der ihn dazu aufforderte, sich seiner Hilfe zu bedienen. Erneut fing er an, gegen den Teil von sich selbst zu kämpfen, der alle störenden Einwände aus dem Weg räumte, um tief in der Höhle des Albtraums nur noch den Gegenstand der Begierde aufleuchten zu lassen.
Schon öfter hatte er in seinem Leben das Hab und Gut seines Nächsten oder Gottes begehrt, bisher jedoch vergeblich, eben weil er stets die Mittel zurückgewiesen hatte, die dazu nötig gewesen wären, es zu erlangen. Es hatte sich dabei jedoch stets um käufliche oder nutzbare Güter gehandelt: um Banknoten, Häuser, Gärten, käufliche Liebe oder gesellschaftlichen Aufstieg.
Doch in diesem Fall handelte es sich um ein so geringfügig anmutendes Gut, dass die meisten vernünftigen Wesen bei seiner Beschreibung laut aufgelacht hätten. Wenn er es je erringen könnte, wenn es denn existierte, würde er sich nur allein in seinem Zimmer an ihm erfreuen können. Die Art und Weise, auf die er es erlangt hätte, würde es ihm für immer untersagen, sich vor anderen damit zu brüsten, seine Freude daran mit Freunden zu teilen oder einen Erzfeind vor Neid erblassen zu lassen.
Und plötzlich stellte der einsame Mann fest, dass, wenn schon die Aufrichtigkeit dessen, was er gerade seinem Heft anvertraut hatte, nicht bis ins Innerste seines Denkens vorgedrungen war, ihm doch die niedergeschriebenen Worte dabei helfen konnten, die Wahrheit klar und deutlich, ohne Umschweife und verhüllende Umschreibungen, zum Ausdruck zu bringen. Fast gegen seinen Willen gehorchte er einem Befehl, der von weiß Gott wo da oben ausgegangen war, und fügte seinen Aufzeichnungen noch etwas hinzu: »Mach dir nur keine Illusionen. In Wirklichkeit war in dir der Wunsch, zu töten, der vermutlich bei deinen Ahnen aus einem dumpfen Aufbegehren entstanden ist und sich nie klar artikulieren konnte, immer mehr oder weniger deutlich vorhanden. Aber noch nie in deinem Leben hattest du einen so guten Grund, ihm nachzugeben.«
Einem solchen Geständnis konnte man nicht ins Auge blicken. Der Mann strich es sorgfältig aus, bis zur völligen Unleserlichkeit. Er schlug das Heft geradezu wütend zu, nachdem er zuvor die bräunliche Postkarte hineingelegt hatte.
Er erhob sich und sammelte alle Unterlagen ein, die auf dem Tisch ausgebreitet waren. Er öffnete den Wandschrank, den er erst vor kurzem entdeckt hatte, und dessen Türen beim Schließen ein vertrautes Quietschen von sich gaben. Er räumte alles in eines der Fächer und holte ein unförmiges, nach Mottenpulver riechendes Bündel sowie den Feuerstein heraus.
Er lauschte dem Wind, der ihn einlud, ihm zu folgen. Er breitete das alte Pionierkostüm aus, das einst der Postbote Melliflore zusammengestellt hatte. Dann malte er sich das Gesicht vor dem Spiegelschrank seines Zimmers weiß an und klebte den riesigen Schnurrbart auf seine Oberlippe, der ihn unkenntlich machte und ihm ein furchterregendes und nahezu unwirkliches Aussehen verlieh.
Der Wind fegte heulend um das abgelegene Haus, als wolle er es streicheln, und außer ihm und dem Mann gab es nichts Lebendiges in Barles und Umgebung.
Als er die Tür nach draußen in die Dunkelheit öffnete, sah er über dem Hängeboden des Schuppens den soeben aufgegangenen Mond sich trüb am verschleierten Himmel abzeichnen. Er hatte vergessen, auf die Wanduhr zu schauen, aber nach dem Stand der Sterne zu schließen, musste es gegen zwei Uhr morgens sein.
Das Moped war an die Kaninchenställe gelehnt. In der Hoffnung auf eine zusätzliche Ration Futter stellten die Tiere sich vor dem ungewöhnlichen Besucher auf die Hinterbeine. Aus dem Schatten heraus betrachtete sie der Mann und sprach ihnen gut zu, so wie er es immer tat, wenn er zum Füttern kam. Mit Bedauern verließ er die Ufer seines gewohnten Lebens, an das ihn der vertraute Geruch des Kaninchenstalls erinnerte und das er bitter vermissen würde.
Das alte Moped war störrisch und schwer in Gang zu bringen. Man musste viel Geduld, viel Fingerspitzengefühl, ja sogar Kraft aufbringen. Aber schließlich sprang es doch immer an und brachte den Mann, wohin er wollte.
Er stieg auf und ließ den Motor einige Minuten warmlaufen. Sein Blick schweifte über den Schuppen hinweg auf die Brachflächen des kleinen Tals, die unter dem Wind erschauerten. Das Gemäuer des Schuppens versperrte ihm die Sicht auf das kleine rauschende Weidenwäldchen und auf den gewaltigen Blayeul, wo der Wind über die kahlen Grasflächen fegte.
Er
Weitere Kostenlose Bücher