Der Mörder mit der schönen Handschrift
Der so eine Art Lederriemen als Krawatte trägt? Sie wissen schon, ein couregeon. «
»Genau! Sie haben noch gu te Augen!« Sie lachte. »Sie sollten hingehen! Auch er hat noch gute Augen. Vor allem, was junge Besucherinnen angeht! Man müsste ihm fast Fesseln anlegen!«
»Wie heißt er?«
»Es ist der Doktor Pardigon; er war Landarzt!«
Es war ein wirklich alter Mann. Ein alter Mann von mehr als neunzig Jahren, dem das Wort ehrwürdig auf den Leib geschnitten schien. Ein alter Mann, der Pfeife rauchte, obwohl das Rauchen doch angeblich das Leben so stark verkürzt. Es gibt jedoch Menschen, denen das Glück bis zur äußersten Grenze aufmerksam zur Seite steht, ohne je in seiner Wachsamkeit nachzulassen. Doktor Pardigon verkörperte das Idealbild eines alten Menschen, so wie wir insgeheim alle werden wollen: groß, aufrecht, sauber, glatt, mit einem Stock, den er locker zwischen seinen Füßen hielt und der ihm eher als Zepter denn als Stütze diente. Vom Idealbild eines alten Menschen hatte er auch den Dünkel und die Impertinenz. Dieses: »Ich hab den richtigen Dreh raus. Seht doch, wie viele ich schon abgehängt habe!« Irgendwann kommt der Moment, an dem das Leben einem Wettkampf ähnelt; bei dem man sich schamlos über den Tod des Nächsten freut, als handle es sich um einen erledigten Konkurrenten. Und man merkte genau, dass dieser Neunzigjährige sein Alter als persönlichen Sieg ansah, obwohl es sich nur um eine Laune des Schicksals handelte.
Pardigon sah gelassen zu, wie Laviolette den Weg zu ihm hochstieg. Laviolette hatte den Eindruck, als würde der andere, während er ihn beobachtete, die Zeit abschätzen, die er noch zu leben hatte. In der Tat schnaufte er ein wenig, als er sich auf der grünen Bank niederließ, neben Doktor Pardigon, der ihm den Rauch ins Gesicht blies.
»Sieh mal an!«, rief der alte Mann aus. »Sie haben aber ganz schön lange gebraucht, um hierher zu kommen!«
»Es ist ja auch steil!«, entschuldigte sich Laviolette.
»Das meine ich nicht! Ich spreche von diesen Verbrechen: Zuerst Véronique und jetzt Ambroisine. Ich hab mir gesagt: ›Über kurz oder lang werden sie alle angerannt kommen, einer nach dem anderen, und werden dich um Rat zu fragen!‹ Was tragen Sie denn da unter dem Arm? Die Röntgenbilder Ihrer Lunge?«
»Das?«, fragte Laviolette überrascht. »Keineswegs! Das sind Bilder. Familienbilder!«
»So, so. Die werden Ihnen wohl kaum helfen! Sie rauchen zu viel!«, fügte Pardigon hinzu und zog genüsslich an seiner Pfeife.
Laviolette war während dieser Worte wieder zu Atem gekommen.
»Sie kannten sie also«, fragte er, »Véronique und Ambroisine?«
»Und ob! Ich habe sie zur Welt gebracht. Véronique war die Zweite, kein Problem! Das ging ganz von allein. Aber Ambroisines Geburt war schwer! Sie war das erste Kind. Ihre Mutter war so eng gebaut wie eine Auster. Die Familie wohnte ganz abgelegen in der Villa des Cèdres, und trotzdem hörte man Ambroisines Mutter noch auf der Bléonebrücke schreien! Und das ist nicht nur so dahergesagt!« Er lachte schallend, konnte dabei aber ein leichtes Husten nicht unterdrücken. »Als wollte sie dieses Mädchen nicht rausrücken, als wollte sie es behalten! In ihrem Bauch, für immer! Was wollen Sie machen, diese Melliflores sind eine Pest! Nicht umsonst sind sie so reich geworden.«
»Sind sie wirklich so reich?«
»Ich bitte Sie … Sehen Sie mal: Die Mädchen haben gute Partien gemacht und nie in ihrem Leben einen Finger gerührt. Zu einem bestimmten Zeitpunkt besaßen die Melliflores schöne Baugrundstücke, hier in der Gegend von Digne. Sie haben sie alle im passenden Moment verkauft. Sie stammen nicht umsonst aus Barles, die Melliflores! Wenn man von dort oben kommt …«
»Sie waren aus Barles?«
»Der Großvater war von dort. Und alle seine Vorfahren. Ha, wenn ich Ihnen alles erzählen würde!«
»Das ist es ja! Genau das will ich wissen: alles!«
Der alte Mann nahm seine Pfeife aus dem Mund, um drei oder vier Arabesken in die Luft zu zeichnen, die die unendliche Vielfalt dieses »Alles« ausdrücken sollten, das man ihm abforderte.
»Alles! Alles!«, wiederholte er monoton. »Sie sind ganz schön mutig! Wenn ich Ihnen alles erzähle, sitzen wir hier bis zum Jahresende!«
Laviolette zog aus seiner Tasche eine Bonbondose der Marke Valda, in der er seinen Tabak aufbewahrte, und rollte sich gemächlich eine Zigarette.
»Es wird genau so lange dauern wie nötig!«, sagte er.
Pardigon schielte zu ihm
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