Der Montagsmann: Roman (German Edition)
gleich bei ihrem ersten Versuch verabschiedet, das nasse Vlies über das ausklappbare Endstück des Schrubbers zu stülpen. Zwei weitere hatten sich später beim Auswringen aufgelöst. Drei waren weggeknickt, als sie die Latexhandschuhe, die sie von Natascha verlangt hatte, übergezogen hatte, in der Sorge, den ganzen übrigen Bestand auch noch zu verlieren. Es hatte nichts geholfen.
Isabel bog die aufgeweichten Ränder um, bis sie sich zu traurigen Wülsten zusammenrollten. Eine der künstlich aufgebrachten Applikationen riss vollständig ab, und sie entfernte mit den Zähnen die vorstehenden Fransen ihres eigenen Nagels.
»Wie konnte ich überhaupt mit diesen Dingern putzen?«, wollte sie von Natascha wissen.
»Gute Frage. Gar nicht, denke ich. Sie sind mir heute das erste Mal an dir aufgefallen.«
»Also muss ich sie mir neu zugelegt haben, nachdem ich hier ausgezogen war?«
»Scheint so. Ich sage dir, diese Kunststoffnägel taugen nichts. Sie sehen nicht mal gut aus.«
»Vielleicht habe ich Nägel gekaut und brauchte deswegen welche. Weil es sonst noch schlimmer ausgesehen hätte. Hab ich gekaut?«
Natascha warf ihr einen Blick von der Seite zu. »Sieht ganz so aus.«
Isabel nahm den Finger aus dem Mund. »War ich ein nervöser Typ?«
»Nicht nervöser als jetzt.«
Isabel seufzte. »Wenn ich nur wüsste, wo ich wohne! Dann könnte ich wenigstens da hinfahren und meine Sachen sichten. Und mir was anderes anziehen.« Sie betrachtete angewidert die Hose des Trainingsanzugs. Sie triefte nur so von dem dreckigen Putzwasser. Das dazugehörige Oberteil hatte sie sich nach der ersten halben Stunde Arbeit ausgezogen und im Hemdchen weitergeputzt. Das stammte aus Nataschas Privatbeständen und war mindestens drei Nummern zu groß. Als ihr auch das zu unbequem geworden war, hatte sie es kurzerhand ebenfalls abgestreift, und da die übrigen Hausbewohner bis zum Mittagessen ausgeflogen waren, war Natascha die Einzige, die daran hätte Anstoß nehmen können, aber die hatte bisher nicht gemeckert. Und falls sie es doch getan hätte, wäre Isabel nicht darauf eingegangen. Sie fand, dass sie in einem Wonderbra von Victoria’s Secret immer noch eine bessere Figur machte als in einem Trainingsanzug vom Discounter.
»Weißt du, was ich nicht verstehe?« Sie stellte den Schrubber zur Seite und nahm einen der Wischlappen aus dem Putzwagen. »Es sagt mir rein gar nichts.«
»Was sagt dir nichts?« Natascha, in der einen Hand ein Poliertuch und in der anderen eine geöffnete Flasche Holzpolitur, rieb emsig die Paneele ab. Es roch intensiv nach dem Öl, mit dem sie vorhin auch bereits die alten Bauernmöbel in den Schlafzimmern behandelt hatten.
»Das Saubermachen«, sagte Isabel.
»Manche Dinge muss man eben länger auf sich wirken lassen«, behauptete Natascha.
Isabel zog zweifelnd die Brauen hoch. »Meinst du? Ich weiß nicht … Wenn ich fast drei Monate hier gelebt habe und jeden Tag gerne sauber gemacht habe, kann das doch nicht innerhalb von zwei Wochen alles weg sein, oder?« Sie nahm einen leeren Eimer vom Putzwagen, drehte ihn um und setzte sich darauf. »Ich hatte dir doch erzählt, dass ich mit dem Arzt darüber gesprochen habe. Er hat mir gesagt, dass bei einer retrograden Amnesie wie bei mir in den allermeisten Fällen kognitive Fähigkeiten genau wie vor dem schädigenden Ereignis beherrscht werden. Das nennt man prozedurales Gedächtnis.«
»Du liebe Zeit, so viel Fachchinesisch! Wen willst du denn damit beeindrucken?« Natascha warf den Lappen zurück auf den Putzwagen und schraubte die Ölflasche zu. »Ich verstehe davon bloß Bahnhof.«
Isabel rollte den Wischlappen auseinander und betrachtete ihn eindringlich, als könnte sie in den Staubflusen die Geheimnisse ihres Lebens entdecken.
»Es bedeutet, dass man Dinge, die man einmal gelernt hat, nach einem Gedächtnisverlust noch beherrscht. Damit meine ich jetzt nicht nur Schreiben und Lesen oder wie man sich die Schuhe zubindet oder einen Tisch deckt, sondern berufliche Qualifikationen. Fabio hat erzählt, dass ich Innenarchitektur studiert habe. Das habe ich mittlerweile schon bemerkt. Ich weiß alle möglichen theoretischen und praktischen Einzelheiten über Stilrichtungen und Einrichtungsformen, über Kunst, Stoffe, Bodenbeläge, Holz und Mauerwerk. Ich habe Vorstellungen, was bestimmte Dinge kosten und wo man sie bekommt. Ich weiß beispielsweise, dass die Möbel, die wir eben in den Schlafzimmern poliert haben, aus den frühen Zwanzigerjahren
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