Der Morgen der Trunkenheit
›Wo warst du?‹«, fragte sie.
»Was geht Sie das an, Chanum? Bin ich etwa eine Gefangene?«
»Dein Ehemann hat Anweisung gegeben, daß jeder, der dieses Haus betritt oder verläßt, es mit meiner Erlaubnis tut. Darf ich nicht wissen, was hier vor sich geht? Darf mein armer Junge nicht wissen, was in seinem eigenen Haus geschieht?«
Abfällig erwiderte ich, »In seinem eigenen Haus? Seit wann ist er Hausbesitzer? Er hat Ihnen etwas Falsches erzählt. Dies ist mein Haus, Chanum. Sie haben es sehr schnell vergessen.«
Sie zuckte zusammen, räumte jedoch nicht das Feld, »Das interessiert mich nicht. Sag, wo bist du gewesen?«
Höhnisch bemerkte ich, »Wenn Sie nur halb soviel Aufmerksamkeit wie auf mein Kommen und Gehen auf Ihren Enkel verwendet hätten, wäre er jetzt am Leben.«
Meine Stimme nachahmend, sagte sie, »Und wenn Sie tatsächlich ins Hammam gegangen wären, statt sich das Kind wegmachen zu lassen, wären Sie jetzt nicht unfruchtbar.«
Der Pfeil traf ins Schwarze. Zorn flammte in mir auf, und meine Stimme steigerte sich zu einem Geschrei, »Keine Bange, Ihre neue Schwiegertochter wird Ihnen ein Kind gebären.« Als ich sah, daß sie mich mit offenem Mund anstarrte, fügte ich hinzu, »Wissen Sie, wohin ich gegangen bin? Auf Brautschau. Ich war gegangen, weil ich um ihre Hand anhalten wollte. Meinen Glückwunsch. Ich bin gegangen, um für Sie um Ma’sumes Hand anzuhalten. Ihr Sohn hat wirklich eine gute Wahl getroffen. Diesmal passen sie zueinander wiedie Faust aufs Auge. Es stimmt schon, jeder Topf findet seinen Dekkel. Die neue Schwiegertochter paßt gut zu Ihresgleichen. Ihr Onkel ist Gendarm, ihre Brüder sind Seifensieder und Messerstecher, und ihre Mutter webt Schrublappen fürs Hammam. Wie finden Sie das? Gefällt es Ihnen? Gleich und gleich gesellt sich gern…«
Zunächst verstand sie nicht, was ich sagte. Sie starrte mich an und sagte, »Das kannst du meinem Sohn nicht anheften. Der Ärmste schuftet von früh bis spät…«
Ich schnitt ihr das Wort ab, »Ich habe es selbst gesehen. Mit diesen beiden Augen. Er hat das Mädchen in das Geschäft hineingezogen…«
Es hatte sie überzeugt. Offenbar freute sie sich sogar. Lachend sagte sie, »Ach so!… Du bist also verärgert, weil jemand in Rahims Geschäft mit ihm geschäkert hat? Das ist doch nicht sein erstes Mal! Na und, sollen die Mädchen doch zu Hause bleiben. Was kann mein Sohn dafür? Was hat er verbrochen? Er ist doch noch jung und nicht hundert Jahre alt! Die Mädchen lassen ihn nicht in Ruhe. Von den Aristrokatentöchtern bis hin zur Nichte eines Gendarms, wie du dich ausdrückst… Man kann nie genug haben!« Ihre Worte waren mit Anspielungen gespickt und schmerzhafter als der Biß einer Viper.
»Nein, man kann nie genug haben. Überhaupt, soll er doch gehen und sie heiraten. Jedem das Seine. Sie verdienen nichts Besseres als die dreiste und schamlose Koukab oder dieses Mädchen, das nicht einmal seinen Namen schreiben kann und für das Ihr Sohn Kalligraphien von Hafis’ und Saadis Gedichten schreibt. Er ist verdorben. Es ist nicht seine Schuld. Im übrigen wünsche ich mir von ganzem Herzen, daß er dieses Mädchen heiratet, damit es mitsamt seiner Familie euch die Hölle heiß macht, so daß ihr das Gute zu schätzen lernt. Ihr Sohn begreift nicht, was eine anständige Frau aus gutem Haus bedeutet! Seit einiger Zeit liegt er auf der faulen Haut und lungert herum. Das hat ihn verdorben. Es ist an der Zeit, daß sich eine findet, die ihm eins überzieht und ihm Geld für den Lebensunterhalt abfordert, damit er zur Vernunft kommt. Damit er zurechtgestutzt wird. Ich kann nicht mehr. Was immer ihr gesagt und getan habt, ich habe nachgegeben. Ihr tanzt mir auf der Nase herum. Aber ihr habt euch geirrt. Meine liebe Amme hatte recht, als sie sagte, daß zuviel Anständigkeit von Übel ist.«
»Deine liebe Amme soll sich unterstehen. Was hat mein Sohn verbrochen? Vermutlich stellt ihm das Mädchen nach. Hast du etwa nicht genau dasselbe getan? Hat man Töne! Was habe ich dir denn getan? Was ist in dich gefahren? Du hättest eben nicht seine Frau werden sollen. Außerdem hat er doch noch nichts Schlimmes getan. Vermutlich will er heiraten und Kinder, damit er eine Stütze im Alter hat. Du bekommst ja keine mehr. Selbst, wenn er tatsächlich heiraten wollte, geht dich das nichts an! Du wohnst hier, hast zu essen und einen Ehemann, der dich beschützt. Andere Männer heiraten zwei oder drei Frauen, und kein Laut dringt aus ihrem
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