Der mysterioese Zylinder
Drahtgestelle unter den Sitzen und lehnten sich gemütlich zurück – allem Anschein nach zwei Stillvergnügte in Erwartung eines blutrünstigen Spektakels.
Der Zuschauerraum war völlig ausverkauft. Kleinere Grüppchen wurden noch die Gänge hinabgeführt und nahmen rasch die noch freien Plätze ein. Erwartungsvoll reckten sich die Hälse in Richtung der Queens, die unbeabsichtigt zum Mittelpunkt eines ganz und gar unerwünschten Interesses wurden.
»Verdammt!« schimpfte der alte Mann. »Wir hätten nach
Beginn der Vorstellung kommen sollen.«
»Du bist wirklich zu empfindlich gegenüber dem Beifall der
Menge, mon père «, lachte Ellery. »Mir macht es nichts aus, im
Mittelpunkt des Interesses zu stehen.« Er schaute auf seine
Armbanduhr; sie tauschten einen bedeutungsvollen Blick. Es
war genau 8.25 Uhr. Sie machten es sich auf ihren Sitzen
gemütlich.
Nach und nach gingen die Lichter aus. Die Unruhe im
Publikum machte einer erwartungsvollen Stille Platz. Als es
völlig dunkel war, öffnete sich der Vorhang vor einer
unheimlich wirkenden halbdunklen Bühne. In die Stille hinein
knallte ein Schuß; der erstickende Schrei eines Mannes ließ so
manchen im Publikum nach Luft schnappen. ›Spiel der
Waffen‹ hatte seinen inzwischen allgemein bekannten
turbulenten Anfang genommen.
Trotz der Voreingenommenheit seines Vaters genoß Ellery
ganz entspannt die leichte Kost dieses Sensationsstücks auf
dem Platz, an dem sich drei Abende zuvor die Leiche Monte
Fields befunden hatte. Der Klang der schönen vollen Stimme
von James Peale, der auf der Bühne in einer Abfolge sich
zuspitzender Ereignisse agierte, erfüllte ihn in ihrer packenden
Kunstfertigkeit mit Begeisterung. Eve Ellis ging offensichtlich
völlig in ihrer Rolle auf; gerade sprach sie voll zarter Erregung
mit Stephen Barry, dessen hübsches Gesicht und angenehme
Stimme bei einem jungen Mädchen direkt rechts neben dem
Inspektor einen Ausdruck der Bewunderung hervorriefen.
Hilda Orange stand in schreiende Farben gekleidet – so wie es
ihre Rolle verlangte – in einer Ecke der Bühne. Die Komische
Alte trottete ziellos über die Bühne. Ellery beugte sich zu
seinem Vater hinüber. »Das ist eine gut besetzte Inszenierung«,
flüsterte er. »Schau dir nur diese Mrs. Orange an!«
Das Stück ging mit Volldampf weiter. Mit einem
ohrenbetäubenden Gewirr aus Worten und Geräuschen ging
der erste Akt zu Ende. Der Inspektor schaute auf seine Uhr, als
die Lichter wieder angingen. Es war 9.05 Uhr.
Er erhob sich; Ellery folgte ihm träge. Madge O’Connell, die
so tat, als würde sie die beiden nicht bemerken, öffnete die
schweren Eisentüren, und das Publikum begann in die nur
schwach beleuchteten Seitengänge hinauszuströmen. Ellery
und sein Vater schlenderten mit den anderen hinaus. Ein livrierter Boy hinter einem hübschen Stand voller
Pappbecher pries seine Ware mit betont gedämpfter Stimme
an. Es war Jess Lynch, der Junge, der über Monte Fields
Wunsch nach Ginger Ale ausgesagt hatte.
Ellery schlenderte bis hinter die Eisentür. Zwischen der Tür
und der Backsteinmauer befand sich ein kleiner Spalt. So
konnte er feststellen, daß die Hauswand, die den Seitengang
auf der vom Theater abgewandten Seite begrenzte, mindestens
sechs Stockwerke hoch und von keiner Öffnung durchbrochen
war. Der Inspektor kaufte sich an dem Stand einen
Orangensaft. Jess Lynch fuhr erschrocken zusammen, als er ihn
erkannte; Inspektor Queen grüßte ihn freundlich.
Die Leute standen in kleineren Grüppchen beieinander; ihre
Haltung schien ein merkwürdiges Interesse an ihrer Umgebung
zu verraten. Der Inspektor hörte, wie eine Frau in einer
Mischung aus Faszination und Furcht bemerkte: »Genau hier
draußen soll er an dem Montag abend gestanden und sich einen
Orangensaft gekauft haben!«
Drinnen ertönte die Glocke zum zweiten Akt, und
diejenigen, die in den Seitengang gekommen waren, um Luft
zu schnappen, eilten nun wieder zurück in den Zuschauerraum.
Bevor er sich hinsetzte, warf der Inspektor noch schnell einen
Blick über den rückwärtigen Teil des Zuschauerraumes hinweg
zum Fuß der Treppe, die hinauf zum Balkon führte. Auf der ersten Stufe stand wachsam ein kräftiger junger Mann in
Livree.
Der zweite Akt begann voller Getöse. In bewährter Manier
ließ sich das Publikum mitreißen oder hielt den Atem an,
während sich auf der Bühne ein wahres schauspielerisches
Feuerwerk entlud. Auf einmal schienen auch die Queens völlig
von der Handlung gefesselt zu sein. Beide, Vater und
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