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Der Name Des Windes

Der Name Des Windes

Titel: Der Name Des Windes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patrick Rothfuss
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und ich konnte es kaum glauben. Wir traten manchmal im Freien auf, wenn an einem Ort die Gebäude nicht groß genug waren. Zwei unserer Wagen waren so gebaut, dass sie in einem solchen Falle als Bühne dienen konnten. Doch in den elf Jahren, die mein Gedächtnis zurückreichte, konnte ich die Gelegenheiten an zwei Händen abzählen, bei denen wir gezwungen gewesen waren, im Freien aufzutreten. Und außerhalb der Stadtgrenzen hatten wir noch nie gespielt.
    Doch das blieb uns erspart. Der Bürgermeister nickte und winkte meinen Vater zu sich. Ich schlüpfte hinten aus dem Wagen, schlich mich näher heran und bekam noch den Schluss dessen mit, was er sagte: »– gottesfürchtige Leute hier. Nichts Vulgäres oder Ketzerisches. Die letzte Truppe, die hier durchkam, hat uns nichts als Scherereien bereitet: Zwei Schlägereien, anschließend fehlte Wäsche, und eine Tochter der Familie Branston befand sich plötzlich in anderen Umständen.«
    Ich war empört. Ich wartete darauf, dass mein Vater den Bürgermeister mit scharfer Zunge zurechtwies und ihm den Unterschied zwischen irgendwelchem fahrenden Volk und den Edema Ruh erklärte. Wir waren keine Diebe. Und niemals würden uns die Dinge so aus dem Ruder laufen, dass eine Horde Betrunkener den Saal, in dem wir auftraten, demolieren konnte.
    Doch mein Vater tat nichts dergleichen. Er nickte nur und ging zurück zu unserem Wagen. Er gab Trip ein Zeichen, und der begann wieder zu jonglieren. Die Marionetten kamen wieder aus dem Kasten.
    Als er um den Wagen kam, sah er mich dort stehen, halb hinter den Pferden versteckt. »So wie du guckst, hast du das bestimmt mitangehört«, sagte er mit schmerzlichem Lächeln. »Lass gut sein, mein Junge. Ihm gebührt Lob für seine Aufrichtigkeit, wenn auch nicht für seine Manieren. Er spricht nur aus, was andere Leute im Grunde ihres Herzens denken. Was glaubst du denn, warum ich euch immer nur zu zweit losgehen lasse, wenn wir in größeren Städten auftreten?«
    Mir war klar, dass er recht hatte. Aber dennoch war das für einen kleinen Jungen eine bittere Pille. »Zwanzig Penny«, sagte ich bissig. »Als würde er uns ein Almosen geben.«
    Das war das Schwierigste, wenn man als Edema Ruh aufwuchs. Wir waren überall Fremde. Viele hielten uns für Landstreicher und Bettler, andere für nichts Besseres als Diebe, Ketzer, Huren. Es ist nicht angenehm, zu Unrecht beschuldigt zu werden, aber schlimmer noch ist es, wenn die Leute, die auf einen herabblicken, irgendwelche Bauerntölpel sind, die nie im Leben ein Buch gelesen und sich nie weiter als zwanzig Meilen von ihrem Geburtsort entfernt haben.
    Mein Vater lachte und zauste mir das Haar. »Hab Mitleid mit ihm, mein Junge. Wir ziehen morgen weiter, er aber muss sich noch bis ans Ende seiner Tage selbst ertragen.«
    »Er ist ein ignoranter Schwafler«, sagte ich bitter.
    Mein Vater legte mir eine Hand auf die Schulter und ließ mich so wissen, dass ich genug gesagt hatte. »Das kommt dann wohl davon, wenn man Atur zu nahe kommt. Morgen ziehen wir gen Süden: Grünere Weiden, nettere Leute, schönere Frauen.« Er hielt sich in Richtung Wagen eine Hand ans Ohr und stupste mich mit dem Ellenbogen.
    »Ich höre jedes Wort«, rief meine Mutter von drinnen. Mein Vater grinste und zwinkerte mir zu.
    »Welches Stück werden wir denn aufführen?«, fragte ich. »Bloß nichts Vulgäres. Das sind gottesfürchtige Leute hier.«
    Er sah mich an. »Welches würdest du wählen?«
    Ich überlegte einen Moment lang. »Ich würde etwas aus dem Brightfield-Zyklus aufführen. Das Schmieden des Weges oder so.«
    Mein Vater verzog das Gesicht. »Kein sehr gutes Stück.«
    Ich zuckte die Achseln. »Das merken die doch gar nicht. Und außerdem geht es darin ständig um Tehlu, und also kann keiner behaupten, es wäre vulgär.« Ich sah zum Himmel. »Ich hoffe nur, es fängt nicht mittendrin an zu regnen.«
    Mein Vater sah ebenfalls zu den Wolken empor. »Das wird es. Aber es gibt Schlimmeres, als im Regen zu spielen.«
    »Etwa im Regen zu spielen, nachdem man wie Dreck behandelt wurde?«, fragte ich.
    Der Bürgermeister eilte herbei. Er hatte Schweiß auf der Stirn und schnaufte ein wenig, so als wäre er gelaufen. »Ich habe mit einigen Ratsmitgliedern gesprochen, und wir haben beschlossen, dass ihr gern das Wirtshaus nutzen dürft, wenn ihr mögt.«
    Die Körpersprache meines Vaters war perfekt. Es war offenkundig, dass er zwar gekränkt war, aber viel zu höflich, um darauf zu sprechen zu kommen. »Ich will

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