Der Narr und der Tod
abseifte, ging mir durch den Kopf, dass ich Reginas Leben regelrecht hasste. Ich verabscheute auch ihre Heimlichtuerei, aber am meisten hasste ich das Hässliche, das sie in unser Leben geschleppt hatte. Regina hatte genau gewusst, in welcher Gefahr sie schwebte, als sie von Corinth nach Lawrenceton fuhr, davon war ich felsenfest überzeugt. Wenn sie uns gegenüber nur offen und ehrlich gewesen wäre, dann hätte sich alles, was seit ihrer Ankunft passiert war, verhindern lassen. Ich schloss die Augen und stellte mir die Ereignisse als Kette umstürzender Dominosteine vor.
Meine Abneigung und Missbilligung gegenüber einem Mitglied der Familie meines Mannes gaben mir das Gefühl, ich sei eine schlechte Christin, eine schlechte Ehegattin. An das Gefühl, eine schlechte Christin zu sein, hatte ich mich im Laufe meines Lebens gewöhnt, gab es doch meiner Ansicht nach nichts Schwereres auf der Welt, als eine gute Christin zu sein. Das gelang kaum jemandem. Aber ich war es nicht gewohnt, mich als schlechte Ehegattin zu sehen.
Vielleicht konnte ich wenigstens das Martin gegenüber wiedergutmachen.
Er döste schon, als ich zu ihm ins Bett kroch. Das Bad lag auf der anderen Seite des Flurs. Ich hatte das Licht dort ausgeschaltet, als ich das Schlafzimmer betrat, und es war ein ziemliches Abenteuer gewesen, den Weg zum Bett in der Dunkelheit zu suchen. Aber sobald ich es gefunden hatte, war der Mann darin nicht zu übersehen. Ich tauchte unter die Decken. Martin gab einen überraschten Laut von sich, der aber eindeutig beglückt klang.
Hinterher, als er mich im Arm hielt und küsste, brummte er: „Ach, Liebling, das war schön.“
„Ich hoffe, ich habe dich heute nicht total verrückt gemacht“, sagte ich flüsternd.
„Du hast mich von unserer ersten Begegnung an verrückt gemacht.“ Martins Stimme klang ganz schlaftrunken vor Zufriedenheit und Müdigkeit.
Ich kuschelte mich in mein Kissen und betete um eine haydenfreie Nacht.
„Ich liebe dich“, sagte Martin plötzlich. „Ich habe das Gefühl, das ist in den letzten Tagen irgendwie auf ein Nebengleis geraten.“
Wohl eher in den letzten Monaten.
„Ich weiß, dass du mich liebst“, wisperte ich.
„Als wir geheiratet haben ...“
Ich war so fertig, ich musste mich zum Zuhören zwingen. Keine der Zeitschriften-Ratgeberseiten über die wahre Liebe bereiteten einen darauf vor, dass man an manchen Tagen zu entkräftet sein konnte, einer Liebeserklärung zu lauschen ...
„... wollte ich nur eins: dich vor jedem möglichen Schaden bewahren. Dafür sorgen, dass du sicher bist. Dass dir nichts Sorgen bereitet ... dir nichts Angst macht ... und gewährleisten, dass es dir nie an etwas mangelt.“
Der Gute ... aber so etwas war schlichtweg unmöglich. Allerdings war es die attraktivste Illusion der Welt, oder? Was hatte ich Martin im Gegenzug geben wollen? Ich erinnerte mich noch schwach, dass ich mir damals vorgenommen hatte, ihm bei seiner Karriere zu helfen. Ich wollte eine gute Gastgeberin und ein ebenso guter Gast sein, jemand, der zu jedem Anlass pünktlich und in angemessener Garderobe erschien und die angemessenen Gefühle zum Ausdruck brachte. Ich wollte unser Heim in ein Zuhause für ihn verwandeln, ein sauberes, gemütliches Zuhause, in dessen Küche es wunderbar duftete und wo immer frisch gewaschene und gebügelte Wäsche auf ihn wartete.
Nur hatte ich mich nach einer Weile danach gesehnt, zumindest halbtags an meinen alten Arbeitsplatz in der Bibliothek zurückzukehren, weil ich diesen Job, die Bücher und die Menschen, denen ich dort begegnete, einfach zu sehr liebte. Es hatte Tage gegeben, an denen ich lieber las, statt mich der Wäsche zu widmen, an denen ich mit meiner Mutter oder Freundinnen geplaudert hatte, statt mit den Vorbereitungen für ein köstliches, schwieriges Mahl anzufangen. Außerdem hatte ich diese Ader, die mich antrieb, das Gegenteil von dem zu tun, was von mir erwartet wurde, und da diese Ader ziemlich ausgeprägt zu sein schien, hatte ich manchmal auf meine eigene, dezente Art rebelliert, indem ich zu einem Abendessen der Pan-Am-Agra-Ehefrauen mit einer besonders schrillen Brille erschien und sagte, was ich wirklich dachte, statt von mir zu geben, was die Leute hören wollten.
„Also“, fragte ich plötzlich. „War ich die Ehefrau, die du wolltest?“
„Ich wollte keine ‚Ehefrau’“, brummte er leise. Die Anführungszeichen waren deutlich zu hören. „Als ich dich auf der Treppe von diesem Haus das erste Mal
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