Der Nautilus-Plan
Walter.«
»Nein!«
»Wenn Sie genau tun, was ich sage, wird Ihre Akte vernichtet.«
NEUNUNDZWANZIG
Simon parkte zwei Straßen weiter, näher als er für ratsam hielt, aber er war in Eile und in Sorge um Sarah. Als er ausstieg, flüsterten schemenhafte Gestalten mit den ausgezehrten Stimmen von Süchtigen ihre Bitten aus den Schatten der Nacht. Eine Kneipentür ging auf, Gelächter und Zigarettenrauch drangen nach draußen. In der schwülen Nachtluft hing der Geruch von Staub und abkühlendem Asphalt.
Er durfte jetzt auf keinen Fall zusätzlichen Ärger kriegen, aber es lag eine ungute Stimmung in der Luft, so, als könnte jeden Moment etwas passieren. Deshalb fischte er einen verwelkten Blumenstrauß aus einer Mülltonne, setzte seine Sonnenbrille auf und trottete mit einem weggetretenen Grinsen los, als sei er nicht ganz zurechnungsfähig. Er hielt die Blumen mit beiden Händen weit von sich gestreckt. Mit etwas Glück erschiene er so durchgeknallt oder unberechenbar, dass die Platzhirsche lieber die Finger von ihm ließen.
Eine Meute massiv tätowierter und gepiercter junger Männer kam auf ihn zu, als gehörte der Bürgersteig ihnen. Ihre finsteren Mienen verhießen nichts Gutes. Mit einem Frösteln hielt Simon nach Waffen bei ihnen Ausschau, aber sie gingen an ihm vorbei, als sei er Luft.
Zwei Straßen weiter bog er in eine Durchfahrt, eine enge Schlucht zwischen hoch aufragenden Wohnblöcken. Über das Kopfsteinpflaster zog sich bis ans andere Ende ein Streifen Mondlicht, die Schatten auf beiden Seiten waren tiefschwarz und abweisend.
Simon warf die Blumen in eine Mülltonne und ging wachsam weiter. Als sich Sarah mit ihrem strahlendsten Lächeln aus dem Dunkel löste, schlug sein Herz schneller. Das Licht war gerade hell genug, um das kurze Haar um ihr Gesicht wie einen Heiligenschein leuchten zu lassen. Als sie im Mondschein auf ihn zueilte, bildete er sich ein, den bezaubernden Leberfleck in ihrem Mundwinkel sehen zu können.
Plötzlich begann sie zu laufen.
Überrascht wurde ihm bewusst, wie er erwartungsvoll die Arme ausbreitete. Von Sehnsucht getrieben, wurden seine Schritte schneller. Er wollte sie an sich reißen, ihren Duft atmen, sie in den Armen halten – und sah, dass ihr Lächeln verflogen war. Sie kniff die Augen zusammen und signalisierte ihm mit ihrer seitlich herabhängenden rechten Hand eindringlich: Komm weiter auf mich zu. Mach weiter, was du gerade machst.
Ihr Blick war auf einen Punkt hinter seiner Schulter gerichtet. Er wollte sich umblicken, aber sie bewegte den Finger hin und her – nein. Ihm schoss ein kalter Schauder den Rücken hinunter. Doch obwohl er angespannt lauschte, hörte er nichts Ungewöhnliches.
Er behielt seine bisherige Haltung bei, die Arme weit ausgebreitet. »Mein Liebling!«
Sarah flog an ihm vorbei.
Er hörte ihre Umhängetasche auf das Pflaster klatschen, und als er herumwirbelte, sah er, wie ihr Fuß hochschnellte und den Arm eines Mannes traf, der keine zwei Meter mehr hinter ihm war. Ein blitzender Gegenstand – ein Stilett – fiel scheppernd zu Boden und schlitterte durch den Mondschein.
Simon wollte Sarah zu Hilfe eilen, aber sie wehrte einen Schlag des Angreifers ab und traf ihn mit lähmenden Handkantenschlägen an beiden Seiten des Halses. Simon war erstaunt über ihre Schnelligkeit und Treffsicherheit. Auch wenn sie das Überraschungsmoment auf ihrer Seite hatte, war das keine Erklärung für die absolut professionelle Ausführung. Da war nicht das geringste Zögern, nicht eine überflüssige Bewegung. Hätte sie gezögert oder den kleinsten Fehler gemacht, wäre sie möglicherweise tot – und er mit ihr.
Als der Mann rücklings zu Boden stürzte, fiel das Mondlicht auf sein Gesicht. Simon traute seinen Augen kaum. Es war dieser Mistkerl aus Jackie Pahnkes Fotoladen. Simon rannte zu ihm.
Schwer atmend schaute Sarah auf den Mann hinab. »Wer ist dieser Mann?«
Noch während Simon es ihr erklärte, hob er das Stilett an, stellte einen Fuß auf die Klinge und brach den Griff ab. Dann kickte er die zwei Teile auf einen Abfallhaufen zu. »Ich habe ihn vorhin noch in einem Fotogeschäft gesehen.« Sein Blick blieb auf Sarahs Ärmel haften. Der Stoff war feucht und dunkel – Blut? Inzwischen waren ihr die Erschöpfung und Anspannung, die sie zuvor mit ihrem strahlenden Lächeln überspielt hatte, deutlich anzusehen. Das Ganze war nur Theater gewesen. »Du bist ja verletzt.« Besorgt zeigte er auf ihren Arm.
»Ach, das ist nicht weiter
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