Der Nautilus-Plan
tragisch.« Liz versuchte, nicht an ihre schmerzende Wunde zu denken. Im Moment zählte nur, dass Simon hier war. Sie sah ihn von oben bis unten an, seinen schlanken Körper, das attraktive Gesicht, die krumme Nase, die intelligenten Augen. Er gefiel ihr immer besser.
Er nickte kurz, bevor er sich rasch in der Durchfahrt umsah und niederkauerte, um die Taschen des Angreifers zu durchsuchen. Wegen ihres Arms würde er ihr später Vorhaltungen machen.
Sie kniete neben ihm nieder. »Er ist dir also gefolgt.«
»Sieht ganz so aus«, gab Simon zu. »Ich habe absolut nichts davon mitbekommen.«
»Er muss sehr gut sein.«
Simon fand keinen Ausweis oder sonst einen Hinweis auf seine Identität oder weshalb er hinter ihm her war. Er zog eine Glock aus dem Schulterholster des Killers und entfernte das Magazin. Es war voll, mit 9mm-Parabellum-Patronen geladen. Er legte die Pistole beiseite und untersuchte die Schuhe des Mannes. Sie hatten Kreppsohlen. Das erklärte, warum seine Schritte so leise gewesen waren. Als Simon zu Sarah hinüber sah, betrachtete sie die Waffe.
Es war eine Glock 19, eine Automatik, zuverlässig, kompakt und relativ leicht, da sie zu über vierzig Prozent aus armiertem Plastik bestand. Zusammen mit der Glock 17L, die einen längeren Lauf hatte, zählte sie bei Polizei und Militär auf der ganzen Welt zu den beliebtesten Faustfeuerwaffen.
Während sie die Waffe ansah, spürte Liz einen Augenblick lang die quälende Unschlüssigkeit der letzten paar Sekunden, in denen man seine bisherige Einstellung noch einmal grundsätzlich überdenkt.
Letztendlich war die Sache ganz einfach: Alle Gewalt war falsch. Sie wusste, in der Zukunft, falls es eine solche gäbe, gäbe es keine Gewalt, egal, wie fern diese Zukunft auch sein mochte. Aber die Zukunft war auch jetzt. Was sie – was jeder von uns jetzt tat, prägte die Zukunft.
Heftig hin und her gerissen, bekam sie wieder Schuldgefühle wegen Sarah. Tish Childs. Mac. Die toten Männer im Eisner-Moulton-Lagerhaus. Der Dekan und seine Frau. Kirk.
»Was hast du denn?« Simon sah sie fragend an.
»Gib mir die Pistole.«
Simon zog eine Augenbraue hoch. »Hast du es dir anders überlegt?«
»Sieht ganz so aus.« Ihre Stimme war ohne jede Emotion. Sie nahm die Pistole, wog sie in der Hand, drehte sie von einer Seite auf die andere, versuchte ein Gefühl dafür zu bekommen. »Die dürfte es tun.«
Als sie sich unter Simons Blicken aufrichtete, bewegten sich ihre Augen und die Waffe in mühelosem Gleichklang, als bestünde zwischen ihnen eine unsichtbare Verbindung. Ohne dass Simon sie dazu aufgefordert hatte, hielt sie Wache. Während er das alles erstaunt zur Kenntnis nahm, dachte er weiter über ihre Karate-Künste nach. Für eine Journalistin war sie erstaunlich gut, selbst für eine, die auf der ebenso geheimen wie renommierten Ranch der CIA ein Spezialtraining absolviert hatte.
Der Mann auf dem Boden der dunklen Durchfahrt begann leise zu stöhnen. »Er kommt wieder zu sich«, sagte sie.
»Wird ja auch Zeit, dass wir ein bisschen mit dem Kerl plaudern«, sagte Simon.
Ein zweites, weniger starkes Stöhnen folgte. Mit leiser Stimme fragte Simon: »Wer sind Sie? Für wen arbeiten Sie?«
Der Mann hatte ein Gesicht, das von Emotionen unberührt schien, fast unbenutzt. Simon bückte sich, um den Mann zu schütteln, als plötzlich Sarahs Hand in Simons Rücken stieß. Er ließ sich auf den Bauch fallen – direkt auf den Angreifer.
Auch Sarah warf sich neben ihm flach auf den Boden und zischte: »Unten bleiben!«
Er drehte sich zu ihr. Sie schaute in Richtung Straße, von wo er in die Durchfahrt gekommen war. Die Glock folgte ihrem Blick zu einer gedrungenen Frau, die an der dunklen Häuserwand entlangschlich und eine Uzi aus ihrer Einkaufstüte holte.
Wortlos wälzte sich Simon von dem zu sich kommenden Mann und zielte mit seiner SIG Sauer auf die Frau, hinter der weiter der Verkehr vorbeirauschte.
»Sie sieht aber nicht sehr gefährlich aus«, flüsterte er.
»Sie ist eine professionelle Killerin«, zischte Sarah. »Sie wirkt zwar schlaff und dick, aber in Wirklichkeit sind das alles Muskeln. Sie hat immer eine Einkaufstüte bei sich und macht zur Tarnung auf biedere Hausfrau.«
Die Frau hatte sich nicht die Mühe gemacht, ihr Äußeres zu verändern – dasselbe kurz geschnittene braune Haar, derselbe rotbraune Lippenstift, dieselbe zweckmäßige Kleidung. Sie kam vorsichtig näher. Offensichtlich suchte sie etwas – oder jemanden.
»Woher weißt
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