Der Nautilus-Plan
der Wärter mit der AK-47, der Kerl, der ihr und Asher die Sandwiches gebracht hatte. In ihr keimte neue Hoffnung auf: Am Gürtel des Mannes hing immer noch das Handy. Sarah holte den Colt wieder aus dem Beutel und wartete, bis der Mann vorbeigegangen war, dann schlich sie ihm hinterher. Er war in Richtung Foyer unterwegs.
Dort war sie bereits gewesen. Als der Mann um eine Ecke verschwand, lief sie leise los und folgte ihm.
Liz betrat den Flur des Südflügels, der sich als ein entmutigend unübersichtliches Labyrinth aus Besprechungszimmern und kleinen Nebengängen entpuppte, an denen zahlreiche Büroräume lagen. Raubtierhaft, vollkommen lautlos, schritt Malko an einer Reihe hölzerner Telefonzellen vorbei und verschwand in einem Seitengang. Liz blieb fast das Herz stehen. Sie durfte ihn auf keinen Fall aus den Augen verlieren. Sie zog ihre Glock und rannte los. An der Ecke blieb sie kurz mit erhobener Waffe stehen, bevor sie in den Seitenflur huschte.
Malko war schon wieder verschwunden. Aber wohin? Sie lauschte angespannt, hörte Schritte. Irgendwo wurde eine Tür geschlossen. Mit klopfendem Herzen sprintete sie auf die nächste Ecke zu. Wieder hob sie mit beiden Händen die Glock und drückte sich mit dem Rücken an der Wand um die Ecke.
Und blieb wie angewurzelt stehen. Es war, als stünde sie vor Angst plötzlich am ganzen Körper unter Strom, denn sie blickte in die Mündung eines riesigen .45er Colt.
Erst dann sah sie, wer ihn auf sie richtete. Ihr fiel ein Stein vom Herzen. »Sarah!«, flüsterte sie.
In Liz kam es zu einer Explosion von Gefühlen – Erleichterung, Freude, Erstaunen. Es gibt Momente, in denen die Zeit stillstehen sollte. In denen man, wenn die Welt gerecht oder auch nur halbwegs annehmbar wäre, in der Lage sein sollte, dieses erstaunliche, mit tiefer Dankbarkeit gepaarte Gefühl, dass gerade ein Wunder geschehen war, ewig anhalten zu lassen. Sarah war am Leben, und aus irgendeinem Grund war sie sogar hier in Dreftbury.
Liz starrte sie fassungslos an. »Sarah, um Himmels willen. Ich hätte dich erschießen können!«
»Liz? Bist du das?«
Sarah studierte das graue Haar, das faltige Gesicht. Doch die Stimme passte. Dasselbe galt für die Augen und die Form ihres Gesichts. Plötzlich brachen die Erlebnisse der vergangenen drei Tage geballt über sie herein, die entsetzliche Frustration und die abgrundtiefe Angst – und später die Sorge, Liz könnte von den Leuten, die sie und Asher in ihre Gewalt gebracht hatten, getötet werden.
Unwillkürlich musste sie grinsen und sagte: »Du hast ja meine Computerbrille auf!«
Sie sahen sich lächelnd in die Augen und entdeckten dort die tiefe Freundschaft, die Liebe und das Vertrauen, das sie verband. Doch dann drängte sich wieder in ihr Bewusstsein, wo sie gerade waren. Was sie gerade taten. Rasch sahen sich beide auf dem Flur um.
»Lass uns irgendwo reingehen, damit wir reden können!«, sagte Sarah rasch.
Liz lauschte bereits an der Tür eines Zimmers. Sie nickte und öffnete sie vorsichtig. Sobald sie einen ersten Blick nach drinnen werfen konnte, kam ihre Glock hoch.
Sarah, die über Lizs Schulter spähte, sah den gelangweilten Wärter mit den dichten Augenbrauen und dem unregelmäßigen Gesicht. Er hatte sich in das leere Besprechungszimmer zurückgezogen, um sich dort auszuruhen. Er zog sich gerade einen Stuhl heraus und hatte neben seiner AK-47 einen Hustler auf den Tisch geworfen.
Stirnrunzelnd drehte er den Kopf. »Was wollen Sie …«
Er sah Sarah. Und griff nach seiner Waffe. Ein Schuss hätte in kürzester Zeit das Wachpersonal auf den Plan gerufen. Liz ließ ihre Umhängetasche fallen, stürzte auf ihn zu und traf ihn mit einem blitzschnellen Morote-zuki an der Brust. Der Mann taumelte zwar zurück, riss aber die Kalaschnikow hoch und zwang Liz, stehen zu bleiben.
Sarah reagierte wie der Blitz. Sie sprang auf den Schreibtisch, und als der Mann herumwirbelte, um auch diesen Angriff zu kontern, traf sie ihn mit einem Mae-geri -Kick am Kinn. Sein Kopf zuckte nach hinten, und er flog gegen einen Beistelltisch. Im selben Moment war Liz auch schon bei ihm, um ihn aufzufangen, damit er möglichst lautlos auf den Teppich fiel. Er war bewusstlos.
»Das war knapp«, keuchte Sarah.
Liz schnappte sich seine Waffe. »Allerdings. Kennst du den Kerl?«
Sarah sprang vom Schreibtisch. »Er ist der Grund, warum ich den Colt gezogen hatte, als du um die Ecke kamst.« Sie erzählte ihr, dass der Kerl sie und Asher in ihrer Zelle im
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