Der Nautilus-Plan
ungeschoren davon.
Simon, der ihr folgte, beobachtete erstaunt, wie Sarah in sich zusammenzusinken schien, kleiner wurde, verschreckter, fast wie ein geprügelter Hund, aber mit einem letzten Anflug von Aufbegehren. Er wollte ihr gratulieren, ihr sagen, wie er sie für diese Wandlungsfähigkeit bewunderte, aber furchtsam wie eine Maus huschte sie immer weiter von ihm fort. Bis sie die Bahnhofshalle erreicht hatten, entdeckte er kaum mehr etwas an ihr, was an Sarah Walker erinnerte. Das war gut so, und nicht nur wegen der Polizei.
Die riesige Bahnhofshalle hallte von Stimmen, Schritten, rollenden Koffern und Ansagen. Liz gingen immer noch Simon und sein Geständnis im Kopf herum, als sie auf den Fahrkartenschalter zuging. Doch dann bemerkte sie zwei Bobbies im Gedränge des Bahnhofs. Ihr Puls begann schneller zu gehen. Am liebsten hätte sie kehrtgemacht, aber das hätte die Aufmerksamkeit der Polizisten auf sie gelenkt.
Sie versuchte, ganz ruhig zu atmen. Doch dann sahen die Polizisten, die sich in der Bahnhofshalle umgeschaut hatten, wie auf ein Kommando in ihre Richtung. Sofort zog sich Liz noch mehr in sich zurück. Ihren verklemmten Gang beibehaltend, täuschte sie, durch Sarahs Brille linsend, starke Kurzsichtigkeit vor, während sie die Polizisten aus dem Augenwinkel beobachtete.
Simon zeigte an einem Schalter seinen MI6-Ausweis und verschwand kurz darauf dahinter, um sich eine Genehmigung zu besorgen, seine Beretta in den Eurostar mitnehmen zu dürfen. Das konnte ein paar Sekunden dauern oder auch sehr lange, wenn sie zum Beispiel beschlossen, Dienst nach Vorschrift zu machen.
Liz ging auf einen anderen Schalter zu. Die zwei Polizisten sahen inzwischen in eine andere Richtung und setzten ihren Rundgang getrennt fort.
»Einmal einfach zum Gare du Nord bitte.« Sie nannte den Namen, auf den sie ihren Platz reserviert hatte – Sarah Walker.
»Ihren Pass bitte, Ma’am.« Sehr amtlich in seiner gestärkten Uniform, sah sie der grauhaarige Fahrkartenverkäufer über seine randlose Brille hinweg an. Seine Stirn und seine Wangen waren von tiefen Falten durchzogen.
»Ja, Sir«, sagte sie leise und reichte ihm Sarahs Pass.
Als er darin zu blättern begann, sah sie einen uniformierten Bahnbeamten durch eine Tür in den lang gezogenen Käfig kommen, in dem die Fahrkartenverkäufer saßen. Er marschierte hinter ihnen vorbei und legte neben jedem ein Flugblatt auf den Schalter. Liz blieb fast das Herz stehen, als sie einen Blick auf einen dieser Zettel warf. Er lag zwar verkehrt herum da, aber trotzdem konnte sie sehen, dass es etwas Offizielles war – von Scotland Yard.
Ihr Mund wurde trocken, als sie die Wörter Patricia Warren Childs und Mord und East Endlos. Das beigefügte Phantombild ähnelte ihr, der mutmaßlichen Mörderin, aber es war nicht besonders gut, und wegen der Brille, der Baskenmütze und ihrer Verklemmtheit war die Übereinstimmung sogar noch geringer. Aber wenn der Fahrkartenverkäufer das Phantombild mit dem Passfoto verglich, wäre die Ähnlichkeit selbst bei oberflächlicher Betrachtung unübersehbar. Wenn er dann die Bobbies rief und diese ihre Handtasche durchsuchten, fänden sie zwei Pässe, die zwar auf zwei unterschiedliche Namen ausgestellt, aber mit demselben Foto ausgestattet waren. Schon allein deswegen würden sie sie festnehmen, und das würde endgültig alle ihre Chancen vereiteln, die Aufzeichnungen des Carnivore zu finden und Sarah zu retten. Insgeheim machte sie sich heftige Vorwürfe, dass sie ihren eigenen Pass nicht versteckt hatte.
Der Fahrkartenverkäufer hörte zu blättern auf und betrachtete das Foto.
Sie musste sich rasch etwas einfallen lassen, bevor er auf das Phantombild sah. Seinem grauen Haar und dem faltigen Gesicht nach zu schließen, war er mindestens sechzig. Das brachte sie auf eine Idee … Es war nur allzu menschlich, sich, vor allem mit zunehmendem Alter, über seine Gesundheit Gedanken zu machen.
Als der Mann von dem Passfoto zu ihr aufblickte und dann wieder auf das Foto sah, griff sie in ihre Umhängetasche.
»Hier ist mein amerikanischer Führerschein«, führte sie zu ihrer Entschuldigung an und klappte Sarahs Brieftasche auf, um ihn dem Mann zu zeigen und ihm so zu bestätigen, dass sie tatsächlich die Frau auf dem Foto war. »Dieses Foto und das in meinem Pass wurden gemacht, bevor das mit meiner Makula-Degeneration so schlimm wurde.« Sie beugte sich vor, tippte auf ihre große Brille und flüsterte: »Sie tragen zwar auch eine Brille,
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