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Der Nebelkönig (German Edition)

Der Nebelkönig (German Edition)

Titel: Der Nebelkönig (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Gerdom
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frisst dich mit Haut und Haar, und dann habe ich
niemanden mehr, der mit mir spricht. Bleib bei mir, Sallie. Niemand kann den
Wolf besiegen.«
    »Die Katzenkönigin hat es
getan«, gab Sallie mit mehr Zuversicht zu bedenken, als sie selbst spürte.
    »Nein, das hat sie nicht!« Er
wich noch einen Schritt zurück, als habe er Angst, sie könnte ihn packen und
zwingen, sich dem Wolf als Mahlzeit anzubieten. »Sie hat ihn nicht besiegen
können. Er lebt weiter sein böses Leben!«
    Sallie wurde unsicher. Redzep
hatte natürlich recht – und wie konnte sie hoffen, etwas zu erreichen, das eine
mächtige Zauberin nicht geschafft hatte?
    Redzep sah ihr Zögern und kam
wieder näher. »Sallie, sie musste scheitern«, wisperte er. »Er hatte doch das
Auge!«
    Er erschrak und schlug eine
Hand vor den Mund, um die Worte ungesagt zu machen.
    »Das Auge?«, hakte sie nach.
Unbehaglich wand sich Redzep und wich ihr aus, aber Sallie packte seine
Schultern und zwang ihn, sie anzublicken. »Welches Auge, Redzep? Sag es mir.
Ich gehe ohnehin zu ihm, also macht es keinen Unterschied, wenn du es mir verrätst.«
    Er seufzte und sackte
zusammen. »Das Auge«, murmelte er und legte einen Finger auf sein rechtes Auge.
»Das Auge des Drachen.«
    Sallie schüttelte sich. Vor
ihr erschien das Bild eines Mannes, aus dessen Antlitz sie ein Menschenauge und
der kalte Reptilienblick eines Drachenauges anstarrte. »Wie kann er das ...«
Sie schüttelte die Vision ab und runzelte ärgerlich die Stirn. »Du redest doch
krauses Zeug, Redzep. Ich habe ihn gesehen, Bardh, den Wolf. Den Grauen Herrn.
Er hat zwei ganz gewöhnliche Augen!«
    Der Junge überraschte sie mit
einem heiseren Kichern. Er begann von einem Bein aufs andere zu hüpfen und
lachte laut heraus. »Ich habe es ihm gestohlen«, rief er triumphierend. »Ich
war es, ich war so klug und so geschickt, es ihm zu stehlen!«
    Sallie atmete scharf ein. »Du
hast es?« Wie konnte der Junge ein Drachenauge gestohlen haben? Was war es, was
Redzep da zu besitzen meinte? »Magst du es mir zeigen?«
    Er hörte damit auf, wie ein
Wilder umherzuspringen und sah sie verwirrt an. »Aber das habe ich doch schon
längst getan«, sagte er vorwurfsvoll. »Du musst dich doch daran erinnern,
Sallie! Wie kannst du es nur vergessen haben?« Er schniefte gekränkt.
    Sallie hörte sein wirres
Gerede, sah das Flackern seines Blickes und seufzte. Sie kannte Redzep
inzwischen gut genug, um zu erkennen, dass sie kein vernünftiges Wort mehr aus
ihm herausbekommen würde. Es gab Zeiten, in denen er klar und ganz und gar
anwesend war, wenn auch immer traurig und ein wenig verloren. Aber dann waren
da Momente wie diese, in denen er sich in einer völlig anderen Welt aufzuhalten
schien und nichts aus dieser ihn erreichte.
    Sallie ließ ihn dort stehen
und mit sich selbst reden. Der Nebel wurde immer dichter und die Zeit drängte.
Sie war überzeugt, dass er ihr niemals ein Drachenauge gezeigt hatte, und wahrscheinlich
bildete er sich dessen Existenz nur ein.
    Sie warf noch einen
mitleidigen Blick auf den verwirrten Rattenkönig, wie er im brusthohen Nebel
stand und mit den Händen fuchtelte, während er mit jemandem sprach, den nur er
selbst sehen konnte. Nein, er konnte ihr nicht beistehen, und sie hatte keine
Zeit mehr, um etwas für ihn zu tun. Sie wandte sich ab.
    »Sallie«, hörte sie Redzep
hinter sich herrufen, »du musst dich vom Wolf verschlingen lassen, wenn du zu
ihm willst.«
    Doch sie drehte sich nicht
mehr zu ihm um. Sein Geist war zu weit entfernt von allem, was Vernunft und
Klarheit bedeutete, um ihr noch helfen zu können. Entschlossen machte sie sich
auf den langen, finsteren Weg zurück an die Oberfläche.

 
     
     
     
     
    15
     
     
    Vom Wolf verschlingen lassen.
Redzeps Worte gingen ihr nicht aus dem Sinn. Verschlingen lassen. Was konnte er
damit nur gemeint haben?
    Der Nebel kroch in ihre
Kleider, ließ sie frösteln, während sie durch den Keller rannte. Das Gefühl,
dass die Zeit drängte, wurde übermächtig. Sie musste sich beeilen. »Zurück zur
Bibliothek«, sagte sie sich. Irgendwo musste sie anfangen nach dem Wolf zu
suchen und dort war sie ihm häufiger begegnet als anderswo.
    Wieder lief sie an den Stellen
vorüber, an denen sich die Wolfskopf Markierungen befunden hatten, aber sie
blieben verschwunden. Wie leicht hätte sie sich von einer davon in den Turm
bringen lassen können! Doch Jammern nützte nichts, sie würde den Wolf auch so
aufstöbern. Und dann ...
    Sallie blieb stehen,

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